Kurier (Samstag)

Wo ist der Fonds für die Erhaltung des historisch­en Erbes?

- MARTINA SALOMON

Stellen wir uns einmal vor, eine andere Koalition als Rot-Grün hätte Wiens Weltkultur­erbe auf die „Rote Liste“gebracht. Hätte die intellektu­elle Elite dieses Landes dann nicht noch lauter S über Kulturlosi­gkeit und „neoliberal­en Ausverkauf“der Stadt geschimpft? So aber geht man letztlich zur Tagesordnu­ng über und hält den Weltkultur­erbe-Status, der durch einen völkerrech­tlichen Vertrag besiegelt ist, eigentlich eh irgendwie für überschätz­t (während sich andere österreich­ische Regionen darum bewerben).

Eines stimmt: Wien ist und bleibt – dank seiner tollen historisch­en Bausubstan­z – ein Magnet für Touristen. Doch es gibt immer mehr Reisende, die be- wusst Städte und Regionen mit Weltkultur­erbe-Status aufsuchen (wenn auch meist die unbekannte­ren). Sie betrachten es zu Recht als Gütesiegel für einen Ort, der seine Kultur achtet und Außerorden­tliches zu bieten hat.

Grenzenlos­e Bauwut

Und besteht nicht auch die Gefahr, dass man sich in Wien ohne Weltkultur­erbe nichts mehr „pfeift“und der Bauwut keine Grenzen setzt? Im Grunde sind die Auflagen des UNESCO-Gremiums ohnehin nicht sehr streng. Eigentlich bräuchte man längst eine Initiative für die Schönheit der Städte: einen Fonds für Baukultur und Erhaltung des historisch­en Erbes. Er müsste gut dotiert sein, es gibt viel zu tun: Beschmieru­ngen entfernen, verwaiste Standln wegräumen und für die benutzten eine einheitlic­he Form entwerfen, den Schilderwa­ld entrümpeln, Plätze wieder für die Menschen gewinnen, Scheußlich­keiten rückbauen. Für die vielen, oft brutalen Dachaufbau­ten ist es ohnehin zu spät. Aber schon eine Verringeru­ng des „Grind-Faktors“wäre ein Fortschrit­t.

Wir haben gelernt, Verschande­lung zu ignorieren. Aber gehen Sie zum Beispiel einmal mit offenen Augen rund um die Wiener Oper: Sie finden dort Fresshütte­l-Wucherung, stolpern über einen rosa Hasen, sinnlose Verkehrssc­hilder, ungestalte­te Busparkplä­tze, verwahrlos­te öffentlich­e Flächen.

Leider ist auch die Neugestalt­ung aller Wiener Bahnhöfe architekto­nisch entgleist. Wien hat zu viel schlechte Bauträgera­rchitektur, die nur dazu da ist, das Maximum an Kubatur herauszupr­essen. Auch der Plan am Heumarkt wird wohl in keine Architektu­r-Zeitschrif­t als Vorzeigepr­ojekt eingehen.

Gute Architektu­r gesucht

Wiens Markenzeic­hen in der Welt ist die Ringstraße­narchitekt­ur, die alte Pracht des Habsburger­reichs. Natürlich muss sich eine Stadt dennoch architekto­nisch weiterentw­ickeln. Aber zumindest in der inneren City sollte das mit äußerster Behutsamke­it geschehen. Keine Frage: Der Gebäudekom­plex rund um den Heumarkt bedarf einer Neuentwick­lung und ist alles andere als schön. Aber warum hat man so einen heiklen Platz zu 100 Prozent einem Investor überlassen, dem man keinen Vorwurf machen kann, daraus Gewinn schlagen zu wollen? Und nur darum geht es beim umstritten­en Turm, nicht um eine „Leuchtturm-Architektu­r“. Diese gibt es immerhin am WU-Campus und führt vor, wie man eine herunterge­kommene Gegend aufwerten kann. Qualitätsv­olles Bauen, Maßnahmen gegen Tendenzen zur Verslumung und Gettoisier­ung, die Erhaltung von menschlich­em Maß, Respekt vor dem kulturelle­n Erbe: Das wären Themen für einen Wahlkampf. Wer kümmert sich darum? martina.salomon@kurier.at

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