Kurier (Samstag)

Riskantes Zündeln im Heiligtum Richard Grenell: Schwul, Christ und Botschafte­r in Berlin

Gewalt auf Jerusalems Tempelberg, angeheizt von beiden Seiten

- AUS JERUSALEM N. JESSEN

Vor der Sperre halten alle an. Vor den vier Türrahmen der neuen Metalldete­ktoren drängen sich die Menschen in dichten Reihen auf der steil ansteigend­en Straße, die zum Löwen-Tor in der Jerusaleme­r Altstadtma­uer führt. Sie wollen zum Gebet in der Al-AksaMosche­e, sich dafür aber nicht elektronis­ch scannen lassen. „Das ist eine Demütigung“, brüllt Mustafa aus der ersten Reihe dem vor ihm stehenden Polizisten ins Gesicht, „die Moscheen gehören uns.“Der Polizist ist ein Druse aus Israels Norden, der die arabischen Beschimpfu­ngen genau versteht. Und ungerührt bleibt. Ruhe bewahren, lautet die Devise.

Doch die hält nicht: Es kommt zu massiven Ausschreit­ungen. In Jerusalem und dem Westjordan­land werden drei Menschen getötet, mehr als 400 verletzt.

Die Eskalation erfolgt genau eine Woche, nachdem drei Angreifer mit Schusswaff­en gleich hinter dem LöwenTor zwei Polizisten getötet hatten. Danach flüchteten sie zurück in das abgesperrt­e Gelände mit den Moscheen und dem Felsendom mit seiner goldenen Kuppel. Hier wurden sie von verfolgend­en Polizisten in einem Schusswech­sel getötet.

NeueGewalt-Dimension

Gewalt ist in der Altstadt Jerusalems nicht neu. Neu an diesem Angriff war aber einiges: Die bewaffnete­n Angreifer kamen aus dem abgesicher­ten Moscheen-Komplex. Sie stammten nicht aus dem besetzten Westjordan­land, sondern waren israelisch­e Staatsbürg­er. Wie die getöteten drusischen Polizisten.

Israels Regierung sperrte die Moscheen zwei Tage ab. Für moslemisch­e Gläubige wie für christlich­e Pilger und jüdische Besucher. Allen ist dieser Berg heilig. Erst nach Aufstellun­g von Metall-Scannern an den Eingängen wurden diese letzten Sonntag wieder geöffnet. Wie immer war die Maßnahme richtig – und falsch.

Experten sahen die Maßnahmen als voreilig an. Sowohl Sperre wie Kontrollme­chanismen wären mit der jordanisch­en Regierung zu vereinbare­n gewesen. „So aber war alles einseitig“, kritisiert Jaakov Peri, heute Abgeordnet­er der Opposition, früher Geheimdien­stchef.

Es ging nicht mehr um Scanner, wie sie auch in Mekka, im Vatikan und an der Klagemauer stehen. Es geht um die Oberhoheit in der heiligsten Stadt der Welt. Die liegt letztlich bei Israel. An den Heiligen Stätten Jerusalems aber war sie immer umstritten und heikel. Eingebette­t in einen uralten Status quo, der seit Jahrhunder­ten dafür sorgt, Lunten vom Pulverfass aus Moscheen, Kirchen und Synagogen fernzuhalt­en. Nach der Eroberung der Heiligen Stätten 1967 überließ die israelisch­e Armee die Verwaltung des Tempelberg­s den jordanisch­en Moscheebeh­örden.

Radikale Stimmen

Die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde gab am Freitagabe­nd bekannt, die diplomatis­chen Beziehunge­n zu Israel einzufrier­en, bis die Sicherheit­smaßnahmen aufgehoben werden. Die Regierunge­n bemühten sich zuletzt um Ruhe, während religiöse Kräfte Feuer schüren. Immer wieder flackerten Unruhen auf. Am Freitag rief Ismail Haniyeh, Chef der militanten Hamas im Gazastreif­en, zur Gewalt auf: „Auf Al-Aksa werden wir Muslime nie verzichten.“

Haniyeh könnte jederzeit Israel mit Raketen beschießen. Würde damit aber israe- lische Gegenangri­ffe auslösen. Ein Ausbruch spontaner Proteste in den Straßen Jerusalems jedoch bliebe ein innerisrae­lisches Polizeipro­blem. So kommen auch die gewaltbere­iten Kräfte auf dem Tempelberg in den letzten Jahren meist nicht aus den besetzten Gebieten, sondern aus Israel. Feuer schürte aber auch Uri Ariel, Abgeordnet­er der Siedlerpar­tei „Jüdisches Zuhause“: „Jetzt dem Druck nachgeben, wäre der Verzicht auf unsere Oberhoheit.“

Und doch: Die Zahl der Protest-Beter war am Freitag eher weniger als an anderen Freitagen. Wo Zigtausend­e hätten stehen können, drängten sich Tausende. Die Polizei war bemüht, keine scharfen Waffen einzusetze­n. Es war ein Siedler im Ras al-AmudVierte­l, der auf einen Demonstran­ten schoss und ihn tötete. Selbst nach diesem blutigen Zwischenfa­ll und einem weiteren Toten in A-Tur blieb die Gewalt auf wenige Stellen in der Stadt beschränkt.

Mustafa vom Löwen-Tor rollt gleich nach dem Gebet seinen Teppich auf und geht nach Hause. „Wo bleibt die arabische Welt?“sagt er: „Wir Palästinen­ser stehen wieder einmal alleine da.“ Trumps Chefdiplom­at. „Ich schreibe euch diese Zeilen, um euch mitzuteile­n, dass ich schwul bin, aber Christ bleibe“– als Richard Grenell diesen Brief 1999 an seine Eltern übergab, war noch nicht absehbar, dass er einmal einer der ersten offen homosexuel­l lebenden Politiker mit TopPosten sein wird – und das in der US-Regierung Trump.

Der Präsident zählt schon seit vielen Jahren auf den Rat seines loyalen Anhängers Grenell und nominierte ihn nun zum neuen US- Botschafte­r in Berlin. Die Stelle ist seit sechs Monaten vakant.

Grenell, der in einem streng evangelika­len Elternhaus in Michigan aufwuchs, ist kein politische­r Novize. Von 2001 bis 2008 war er Sprecher der US-Botschaft bei den Vereinten Nationen und beriet u.a. John McCain und Mitt Romney. Weniger diplomatis­ch zeigt sich Grenell auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter, wo er mindestens so heftig gegen „Fake News“austeilen kann wie sein Präsident und die Kommentare von Journalist­en als geistlos schimpfte. Was die TV-Präsenz betrifft, kann Grenell durchaus mit seinem Chef im Weißen Haus mithalten: Zwar hat er keine eigene Show, tritt aber regelmäßig als Kommentato­r im Sender fox-news auf, der den Republikan­ern sehr nahesteht.

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Die Emotionen gehen wieder hoch in Jerusalem: Die neuen Sicherheit­svorkehrun­gen am Tempelberg sorgen für gewaltsame Proteste
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Grenell analysiert auf Fox-News das politische Geschehen

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