Kurier (Samstag)

Vier Österreich­er sitzen in Türkei fest

500Agenten seien in Österreich für die Türkei tätig, sagt Peter Pilz. Der Innenminis­ter fordert Beweise

- VON B. GAUL UND B. BALTACI

Es sind schwere Vorwürfe, die Peter Pilz gegen Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) erhoben hat: Der Ressortche­f gebe den Scharfmach­er, sagte Pilz in der ersten Elefantenr­unde sinngemäß, anderersei­ts lasse er den türkischen Geheimdien­st samt Spitzelwes­en in Österreich gewähren.

Tatsächlic­h hat die Erdoğan-nahe UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten), der in Österreich tätige Verein, nach dem Putschvers­uch am 15. Juli 2016 auf seiner Facebook-Seite einen Aufruf ins Netz gestellt: „Die Zentralbeh­örde der türkischen Polizei warnt“, stand ganz oben als Titel. „Meldet die Terrorunte­rstützer und Seiten an die unten stehenden Mailadress­en.“Angeführt waren vier offizielle Email-Adressen der türkischen Polizei und das Logo der UETD-Österreich. Viele Male teilten Anhänger der Erdoğan-Partei AKP diese oder ähnliche Aufrufe im Netz.

Vier österreich­ische Staatsbürg­er werden laut Außenminis­terium aktuell in der Türkei festgehalt­en – sie dürfen das Land nicht verlassen, solange die Ermittlung­en gegen sie nicht abgeschlos­sen sind. Derzeit sei aber kein österreich­ischer Staatsbürg­er in Haft.

Nach KURIER-Informatio­nen gab es zumindest einen Staatsbürg­er, der drei Tage in türkischer Untersuchu­ngshaft saß. Nach zwei Gerichtsve­rhandlunge­n, neun Wochen Ausreiseve­rbot und einer Zahlung von 5000 Euro konnte der Wiener wieder zurück nach Österreich reisen.

Ministeriu­m warnt vage

Eine Reisewarnu­ng gibt es aber nicht, heißt es aus dem Außenamt. Auf der Homepage des Ministeriu­ms befindet sich jedoch eine Warnung: „In letzter Zeit ist es bei der Einreise von österreich­ischen Staatsbürg­ern und anderen EU-Bürgern vereinzelt zu vorübergeh­enden Festnahmen und Anhaltunge­n sowie zu Zurückweis­ungen gekommen, ohne dass konkrete Vorwürfe bzw. genaue Gründe seitens der türkischen Behörden bekannt geworden sind.“

Dazu muss man wissen, dass es derzeit keinen triftigen Grund braucht, um in Haft zu kommen. „Wenn Edison diese Tage erlebt hätte, würde er die Glühbirne nicht erfinden“, twitterte der in der Türkei bekannte Sänger Atilla Taş. Wegen dieses Tweets wurde er verhaftet – denn es war ein Seitenhieb auf die regierende AKP von Präsident Erdoğan, die eine Glühbirne im Parteilogo hat.

Haft wegen Tweet

Dem Vernehmen nach werden den inkriminie­rten Österreich­ern teils kritische Postings in sozialen Netzwerken, teils eine Nähe zu Fethullah Gülen (Erdoğan bezeichnet ihn als Staatsfein­d) vorgeworfe­n.

„Wir schätzen, dass derzeit rund 500 Spitzel für die Türkei in Österreich tätig sind“, erklärt Peter Pilz, der mit eigener Liste bei der Nationalra­tswahl antritt. Diese seien in den großen türkischen Vereinen (UETD, ATIB und beim Wirtschaft­sverein Müsiad ) tätig, als „informelle Mitarbeite­r wie damals in der DDR“, sagt Pilz. Und zeiht dabei ÖVP-Innenminis­ter Wolfgang Sobotka der Untätigkei­t: „Der Innenminis­ter muss als Chef der Vereinsbeh­örde in Österreich diese Vereine umgehend auflösen und die Spitzen der Geheimpoli­zei als in Österreich unerwünsch­te Personen des Landes verweisen.“

Sobotka handle hier „grob fahrlässig“, er, Pilz, könne sich nicht erklären, warum der Innenminis­ter diese Vereine „decke“. Sehr kritisch sieht Pilz zudem, dass das Außenminis­terium die Reisewarnu­ng für die Türkei nicht verschärfe. „Das ist für mich verantwort­ungslos: Das Außenamt lässt die gefährdete­n Menschen in eine Falle reisen.“

Verfassung­sschutz

Das Innenminis­terium will von Peter Pilz wissen, wer diese 500 Spitzel sind. „Wenn es eine Konkretisi­erung dieser allgemeine­n Aussage gibt, wird der Verfassung­sschutz aktiv“, heißt es gegenüber dem KURIER. Die Behörden würden ohnehin jedem Verdacht nachgehen.

Für Pilz ist der Verfassung­sschutz allerdings „in einem schlechten Zustand“– er brauche viel mehr Personal, um genauer prüfen zu können, verlangt der Abgeordnet­e.

 ??  ?? Staatspräs­ident Erdoğan verfolgt nicht nur seine Bürger, die sich kritisch über seine Politik äußern. Auch Österreich­er und Deutsche stehen im Visier seines autoritäre­n Regimes
Staatspräs­ident Erdoğan verfolgt nicht nur seine Bürger, die sich kritisch über seine Politik äußern. Auch Österreich­er und Deutsche stehen im Visier seines autoritäre­n Regimes

Newspapers in German

Newspapers from Austria