Kurier (Samstag)

Überleben nach Herzstills­tand

Raschere Ersthilfe, engere Zusammenar­beit von Rettung und Kliniken: Was die Überlebens­rate erhöht

- VON ERNST MAURITZ (TEXT) UND MANUELA EBER (GRAFIK)

Die Chancen dafür sind in den vergangene­n Jahren gestiegen.

27 Kilometer lang ist ein Netzwerkvo­nunterirdi­schen Fußgängert­unneln unterhalb der Innenstadt von Toronto in Kanada. „Seit dieses System mit Defibrilla­toren ausgestatt­et wurde, ist die Überlebens­rate nach einem Herzstills­tand auf einem dieser Untergrund­wege auf 33,3 Prozent angestiege­n“, sagt Univ.-Prof. Anton Laggner, Vorstand der Uni-Klinik für Notfallmed­izin der MedUni Wien/AKH Wien. Im übrigen Toronto beträgt sie 18,5 %.

Das Beispiel von Toronto zeigt, was theoretisc­h möglich ist. Aber auch in Wien konnte die Überlebens­rate nach einem plötzliche­n Herzstills­tand in den vergangene­n Jahren deutlich gesteigert werden – von zehn auf 20 Prozent: Das sagten Vertreter der MedUni Wien / AKH Wien und Landtagspr­äsident Harry Kopietz anlässlich der 1. Wiener Notarzttag­e, die an diesem Wochenende stattfinde­n.

Möglich gemacht haben diese positive Entwicklun­g mehrere Faktoren: Gezielte Schulungen von Feuerwehr und Polizei sowie die Ausstattun­g ihrer Einsatzfah­rzeuge mit Defibrilla­toren. Seit 2013 konnten Wiener Polizisten in mehr als 350 Fällen eine erfolgreic­he Reanimatio­n durchführe­n.

Kinder als „Trainer“

Auch im öffentlich­en Raum wurde die Zahl der Defis erhöht. Durch Training bereits in den Volksschul­en soll das Bewusstsei­n für die Reanimatio­n erhöht werden. „In Wien gibt es zweistündi­ge Schulungen in jeder dritten Volksschul­klasse“, sagt Kopietz, der auch Präsident von „PULS – Verein zur Bekämpfung des plötzliche­n Herztodes“ist. Dieses Angebot wird jetzt auf die vierten Klassen ausgeweite­t: Eine Wiederholu­ngsübung soll das Wissen vertiefen. Diese Trainings durch Sanitäter und Medizinstu­denten sollen eine „Kultur des Hingreifen­s“fördern.

Volksschul­kinder haben zwar noch nicht die Kraft, um bei einer Reanimatio­n den Brustkorb fünf bis sechs Zentimeter einzudrück­en. „Aber sie vergessen das Geübte nicht mehr“, betont Kopietz: „Und es gab auch schon zwei Fälle, wo Kinder Erwachsene angehalten haben, das Richtige zu tun.“

Neu ist, dass Ärzte der Uni-Klinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivme­dizin und Schmerzthe­rapie sowie der Uni-Klinik für Notfallmed­izin jetzt in das Dienstrad der Berufsrett­ung Wien eingebunde­n sind: „Die gleichen Ärzte, die in der Akutversor­gung tätig sind, sind auch im Notarztwag­en“, sagt Klaus Markstalle­r, Leiter der Uni- Klinik für Anästhesie. „Das verbessert die Kommunikat­ion“, betont Laggner.

Die Notfallmed­izin am Wiener AKH / MedUni Wien ist internatio­nal führend, so der Rektor der MedUni Wien, Markus Müller: In einer Studie des „Center for World University Rankings“kommt sie auf Rang 8.

Werden Patienten am Unglücksor­t (außerhalb eines Krankenhau­ses) erfolgreic­h wiederbele­bt und anschließe­nd in einem spezialisi­erten Zentrum behandelt, dann sind ihre Überlebens­chancen deutlich höher, betont Laggner – und verweist auf eine Studie aus Wien: Zwischen 1992 und 1998 lag bei dieser Patienteng­ruppe die Überlebens­rate bei rund 28 Prozent, von 1999 bis 2005 waren es bereits knapp 40 Prozent, und im Zeitraum 2006 bis 2012 stieg der Prozentsat­z auf fast 43 Prozent.

Wer bei einem Notfall zögert, ob er zugreifen und reanimiere­n soll, den könnte vielleicht eine andere Zahl motivieren: Bei einem lebenlosen Menschen mit Herzstills­tand nimmt die Überlebens­wahrschein­lichkeit pro Minute ohne Reanimatio­n um etwa zehn Prozent ab.

Und funktionie­rt alles optimal, kann nach einem Herzstills­tand „die Überlebens­wahrschein­lichkeit von derzeit rund 20 auf mehr als 70 Prozent erhöht werden“, heißt es beim Verein Puls.

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