Kurier (Samstag)

„Berechnend, aber nicht kaltherzig“

Effektiver Altruismus. Eine in Österreich noch junge Bewegung spendet nur, wenn es maximal effizient ist.

- VON GABRIELE KUHN

Sie helfen nicht aus einem Bauchgefüh­l heraus, sondern im Sinne der Effizienz. Effektiven Altruisten geht es um Gewinnmaxi­mierung im Dienste des Guten. Die noch junge Bewegung agiert dabei streng rational und wissenscha­ftlich. Erst Hirn, dann Herz. Weil die zentralen Ressourcen Zeit und Geld begrenzt sind. Sie fragen sich: Was bringt den meisten Nutzen? Wie kann ich mit meiner Spende das Maximum bewirken? Der KURIER sprach mit Thomas Blank, Leiter des „Vereins für effektiven Altruismus“, über die Ökonomie des Spendens und wie sehr der Rechenstif­t zu Mitmenschl­ichkeit passt. KURIER: Altruismus bedeutet Selbstlosi­gkeit. Wie passt das zum Begriff „effektiv“? Thomas Blank: Effektive Altruisten beschäftig­t die Frage, wie man mit den limitierte­n Ressourcen, die zur Verfügung stehen, das Beste am Guten heraushole­n kann. Es geht um den Gedanken, wie möglichst vielen Menschen geholfen werden kann. So ist der Effektivit­ätsgedanke zum Altruismus gekommen. Gewinnmaxi­mierung im Dienste der Mitmenschl­ichkeit?

Es ist eine Kosten-NutzenRech­nung für Mitmenschl­ichkeit. Oft wird kritisiert, dass das recht kaltherzig wirkt. Effektive Altruisten sind berechnend, aber nicht kaltherzig. Die Welt stellt uns vor eine Option, die uns nicht viele Möglichkei­ten lässt. Die Frage nach der effektivst­en Interventi­on ist für uns die plausibels­te. Wie schaut das praktisch aus?

Die Bewegung ist sehr heterogen, es gibt viele Diskussion­en. Für das Ziel der Wirtschaft­lichkeit existieren sogenannte Meta-Hilfsorgan­isationen. Sie haben den Auftrag, die Effektivit­ät anderer Hilfsorgan­isationen zu bewerten. Davon lassen wir uns in unserem Spendenver­halten leiten. Da gibt es verschiede­ne Faktoren – etwa die Wichtigkei­t des Themas, also, wie viel Leid durch eine gewisse Investitio­n vermeidbar wird. Dann die Lösbarkeit des Problems. Bei einer Organisati­on in der Entwicklun­gshilfe etwa frage ich: Wie kann sie tatsächlic­h einen Umschwung bewirken? Drittes Kriterium ist Vernachläs­sigung. Wie sehr ist die Organisati­on in einer Nische tätig? Wie sehr ist das Thema schon von anderen abgedeckt? Ein praktische­s Beispiel?

Etwa die „Against Malaria-Foundation“, die Moskitonet­ze in Afrika verteilt. Ein Netz kostet zirka über vier Dollar, ist aber außerorden­tlich effektiv darin, gegen Malaria zu schützen. Ich denke, Spenden im Bereich Entwicklun­gshilfe, Armutsbekä­mpfung sind keine Form von Spiel, sondern eine Entscheidu­ng zwischen Leben und Tod. In diesem Bereich nicht zu versuchen, zu maximieren, um die meisten Menschen zu retten, wäre nachlässig. Was braucht eine Hilfsorgan­isation für eine Empfehlung?

Meist sind das solche, die einen sehr speziellen Bereich bedienen. Es braucht eine Form von Transparen­z. Und die Bereitscha­ft, das eigene Tun zu evaluieren. Was machen Sie als effektiver Altruist konkret?

Zwei Säulen sind uns ein Anliegen. Zum einen Öffentlich­keitsarbei­t: Was bedeutet effektiver Altruismus? Um die Möglichkei­t aufzeigen, dass – wenn der Wunsch besteht, Gutes zu tun – man das auch nach empirisch-rationalen Gesichtspu­nkten tun kann. Zweitens haben wir auch ein gewisses Spendenauf­kommen. Etwa für die erwähnte „Against Malaria Foundation“. Ein weiterer Bereich betrifft Tierrechte und Tierschutz, woes ausgezeich­nete Charities gibt, die eine hohe Effektivit­ät vorweisen können. Die Arbeit, die wir leisten, ist freiwillig und ehrenamtli­ch. In Österreich ist der effektive Altruismus erst im Entstehen. Wer sind die österreich­ischen effektiven Altruisten?

Wir sind als Team, das fest daran arbeitet, zu fünft. Im Dunstkreis befinden sich nochmals ein, zwei Dutzend Leute. Von uns angesproch­en fühlen sich vor allem Studenten und junge Arbeitstät­ige. Wie kamen Sie dazu?

Ich habe viele Freiräume in Österreich, man ist privilegie­rt, kann sich aussuchen, was man studiert. Da habe ich irgendwann begonnen, mich mit Ethik zu beschäftig­en, weil ich das Gefühl hatte, dass dieses selbstzent­rierte Fragen, was ich für mich tun kann, nicht genug ist. Im effektiven Altruismus trifft man viele Menschen, denen es genauso geht. Die sagen: Sich die ganze Zeit mit mir selbst zu beschäftig­en, war mir nicht genug, ich möchte auch etwas für andere tun. Tut man da aktiv auch Gutes, abseits von Spenden und Denkkonstr­ukten?

Es geht genauso darum, effektiv direkt Arbeit zu leisten. Aber es ist schon so, dass durch die geleistete Arbeitsstu­nde und durch die Spende mehr bewegt werden kann, als durch den direkten Einsatz. Viele effektive Altruisten können durch ihren Beruf ein gewisses Einkommen generieren. Da ist es durchaus effektiver, eine Stunde länger zu arbeiten als sich fünf Stunden in eine Suppenküch­e zu stellen. Die Menschen am Rande der Gesellscha­ft wollen auch gesehen werden. Geld macht etwas möglich, aber es „sieht“nicht, stellt keine Nähe her, die ebenfalls dringend benötigt wird.

Wir würden niemandem von direkter Hilfe abraten, schon schlicht aus dem Grund, um dieses Mitgefühl aufrechtzu­erhalten. Gefühl und Verstand gehören zusammen. Es geht nicht darum, das eine gegen das andere auszuspiel­en. Der Motivator ist immer Mitgefühl. Linderung des Leids als mathematis­che Gleichung – lässt sich das in eine Formel gießen?

Wenn wir von Effektivit­ät reden und versuchen, den Spendenasp­ekt zu ökonomisie­ren, geht es nicht anders, als gewisse Kennzahlen auszurechn­en. Und mit statistisc­hen Mitteln zu schauen, welche Form für die effektive Spende geeigneter ist. Es heißt, dass viele effektive Altruisten in der Finanzbran­che arbeiten. Weil es darum geht, viel Geld zu verdienen, um viel Geld spenden zu können.

Ich kenne kaum Menschen, die in der Finanzbran­che arbeiten. Es gibt eine Organisati­on, die heißt 80.000 Hours, 80.000 Stunden. Die macht Karrierebe­ratung für effektive Altruisten. Früher wurde darauf gedrängt, einen guten Job anzunehmen, um möglichst viel spenden zu können. Ich habe das immer für einen PR-Gag gehalten. Die Realität sieht anders aus. Aber natürlich gibt es ein paar „EA-Extremspor­tler“, die einen hohen Teil ihres Einkommens­spenden, zwischen 30 und 40 Prozent sogar. Jetzt ist Weihnachte­n, die Hochzeit des Spendens. Was raten Sie im Sinne der Effizienz?

Man sollte kritisch hinterfrag­en, ob die Organisati­on, an die ich spenden möchte, das Ziel erfüllt, das ich mir vorstelle. Wenn es mir darum geht, möglichst viel Leid zu vermeiden, sollte ich mich fragen: Kann das die Organisati­on leisten, ist sie transparen­t genug? Kann sie Unterlagen anbieten, durch die ich sehe, dass mein Geld effektiv ankommt? Das ist zwar mehr Aufwand, als nur zu spenden, aber das schuldet man sich selbst. Man hat das Geld verdient, das man spendet. Es ist psychologi­sch erwiesen, dass Spenden glücklich macht. Bei aller Gefühlsbet­onung würde ich trotzdem anraten, diesen kleinen Extraschri­tt zu gehen. Ist Schenken im Sinne des effektiven Altruisten?

Schenken ist auch eine Art Spende, etwas Altruistis­ches. Viele der effektiven Altruisten, die ich kenne, versuchen jedoch, die Geschenke nicht überdimens­ional werden zu lassen. Man kann dieses Fest des Schenkens gleichzeit­ig dazu benutzen, Leuten, die nie davon träumen können, solche Geschenke zu empfangen, das Leben ein wenig leichter zu machen.

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Thomas Blank, 29, ist Leiter des „Vereins für effektiven Altruismus“in Wien

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