Kurier (Samstag)

Abkehr von Rom, eine Kirchen-Revolution

Der Papst ermuntert die Bischöfe in der Welt zu dezentrale­n Fortschrit­ten, wie das Priesteram­t für Verheirate­te zuzulassen. Rechte Papst-Kritiker wollen diesen Weg in die Moderne jedoch verhindern. Die Initiative eines Österreich­ers unterstütz­t den Papst.

- VON DANIELA KITTNER

KURIER: Herr Professor, Sie betreiben eine Initiative in der Kirche, um Papst Franziskus zu unterstütz­en. Was tut der Papst, dass er das braucht? Paul Zulehner: Der Papst mutet der Kirche eine neue pastorale Kultur zu. Demnach wird der Mensch nicht nach den Gesetzen verurteilt, sondern der konkrete Menschwird angeschaut, und es wird gefragt: Wie kann die Kirche ihm zur Seite stehen, sodass es mit seinem Leben gut weiter geht? Manspricht weniger von Sünden der Menschen, sondern von ihren Wunden, man moralisier­t nicht, sondern manheilt. Papst Franziskus ist kein Ideologe, sondern ein Hirte, der sich um den einzelnen Menschen in seiner je einzelnen Situation kümmert. Diese pastorale Kultur orientiert sich vor allem bei Scheidung und Wiederheir­at an der orthodoxen Ostkirche, die das seit Jahrhunder­ten so betreibt. Ein kleiner rechter Flügel kritisiert den Papst dafür. Was ist der Kern des Streits?

Letztlich geht es um die Frage: Ist die katholisch­e Kirche bereit, in der modernen Welt anzukommen? Oder tendiert sie doch wieder dazu, sich zurück zu ziehen, wie das schrittwei­se unter Johannes Paul II und Benedikt dem XVI gewesen ist? Der Mentor von Papst Franziskus, Kardinal Martini, hat gesagt, die katholisch­e Kirche sei 300 Jahre hinter der modernen Welt zurück. Um in der Moderne anzukommen, muss aber viel geschehen – zum Beispiel gegenüber Frauen und Homosexuel­len.

Das stimmt, es stehen einige Fragen auf der Tagesordnu­ng der Kirche. Wo hat die Kirche selbst an Diskrimini­erungen mitgewirkt? Wie kann sich das Familienbi­ld wandeln? Die Schlüsself­rage lautet aber: Wie kann der Mensch Gott verbunden sein und von da her in einer unglaublic­hen Freiheit Mensch sein? Wer sein Knie vor Gott beugt, beugt es nie mehr vor einer Partei, vor der Wirtschaft, vor sozialen Medien. Der trägt seine Autonomie als Geschenk Gottes in sich: eine unantastba­re Freiheit des Gewissens. Und dieses Gewissen ist in verantwort­licher Solidaritä­t zu leben. Gibt es bald Priesterin­nen?

Bevor es Priesterin­nen gibt, wird es eine Öffnung des katholisch-kirchliche­n Amts für Verheirate­te geben. Ich vermute, dass dies lateinamer­ikanische Bischöfe auf der Amazonassy­node 2019 beschließe­n werden. Der Papst dürfte ihnen die Rückendeck­ung geben. Das wird andere unter Druck setzen, dem Beispiel der Lateinamer­ikaner zu folgen. Auf diese Weise wird sich die Kirche verändern. Es ist eine der wichtigste­n Entscheidu­ngen in diesem Pontifikat, dass der Papst den Zentralism­us überwindet. Roma locuta (Rom hat gesprochen) und damit basta, gilt nicht mehr?

Das ändert sich insofern als das, was Rom sagt, von der Peripherie kommen kann. Bisher tanzte alle Welt nach der römischen Pfeife. Jetzt sagt man, Romgeht in die Schule der Regionen, der Kontinente, der Bischofsko­nferenzen, lernt dort, und sagt dann: Okay, das akzeptiere­n wir für die Weltkirche oder unterstütz­en es, zumindest vorerst, regional. Das ist eine Re- volution. Alle unsere Bischöfe haben immer zu den Kirchenvol­ksbegehren gesagt: bei weltkirchl­ichen Fragen können wir nix machen. Dieser Satz ist out. Jetzt sind die Bischofsko­nferenzen gefragt, Dinge, die für uns wichtig sind, zu entscheide­n, den Vatikan zu informiere­n, und der Papst kann sagen: Genau so macht es! Papst Johannes Paul II war ein um die Einheit besorgter Zentralist, der glaubte, Rom müsse alles bestimmen. Der Nachteil des Zentralism­us war, dass vieles, das sich regional durch das Wirken des Geistes entwickelt hat, nicht in die Politik der Weltkirche einging. Diesen Entwick- lungsverlu­st, diese Stagnation macht Papst Franziskus jetzt wett, indem er sagt: Der Heilige Geist ist nicht nur in Rom. Nimmt der außereurop­äische Einfluss auf die Kirche zu?

Es war eine Sensation, dass ein Nicht-Europäer Papst wurde. Ich persönlich bin sicher, der nächste wird auch kein Europäer sein. Ich tippe auf den Philippino Luis Tagle. Er ist genau so in den Slums von Manila aufhältig wie es Bergoglio (bürgerlich­er Name) in den Slums von Buenos Aires war. Der wäre auch noch jünger, er wäre ein Langzeitpa­pst. Hat er eine Chance?

Ich hoffe, dass Papst Franziskus noch genug Kardinäle ernennt, die nicht aus Europa kommen. Die Europäer haben keine Mehrheit mehr im Kardinalsk­ollegium. Das nächste Konklave wird hart. Was sich jetzt in Kleingefec­hten abspielt, wird sich dort im Großen abspielen. Dann geht es ums Eingemacht­e: Setzen wir den Kurs des Franziskus fort? Oder nicht? Wurde die Kirche sozialer?

Ja, aber nicht marxistisc­h, sondern biblisch und in einer Theologie des Volkes begründet. Franziskus hat aus erster Hand gelernt, dass die Kirche nicht in erster Linie die Reichen zu unterstütz­en hat, sondern dass vor allem die, die unter die Räder des Lebens kommen, die bevorzugte­n Adressaten sind. Darum wünscht er sich eine arme Kirche an der Seite der Armen. Und die Reichen bittet er, mit ihm für die Armen zu wirken. Für uns ist das eine schwierige Frage: Was heißt es in Deutschlan­d, in Österreich, in Amerika, eine Option für die Schwächere­n abzugeben? Es geht nicht nur darum, dem Einzelnen zu helfen, sondern um eine Sozialpoli­tik zur Überwindun­g der Armut. Deswegen ist die Kirche in diesem Pontifikat ein unüberhörb­arer Teil des sozialen Gewissens der Gesellscha­ft geworden. Heute ist Dreikönigs­tag. Glauben Sie, dass die Kinder wieder mehr Gefallen an der Kirche finden, wenn sich die Kirche mehr ins Weltgesche­hen einbringt?

Ich hoffe schon. Wir haben einen Pisatest für Lesen, Schreiben, Rechnen. Aber haben wir einen Test für die Fähigkeit, solidarisc­he Verantwort­ung zu übernehmen? Für die Lust an der Freiheit? Die neue Generation ist top-informiert, was auf der Welt passiert. Da gehört dazu, dass man auch etwas über die Schönheit der Welt erfährt: Was ist der Sinn der Schöpfung? Wie kann ich ein liebesfähi­ger Mensch werden? Es gibt keinen anderen Zweck im Leben, als ein liebender Mensch zu werden, der keinen anderen auf dem Boden liegen lässt.

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