Kurier (Samstag)

Der Solist als Teamchef

Warum der Olympia-Favorit keine One-Man-Show mehr ist Tagebuch

- VON WOLFGANG WINHEIM wolfgang.winheim@kurier.at

DHenrik Kristoffer­sen schäumte, gnadenlos eingeblend­et von den TV-Kameras, vor Enttäuschu­ng, als Marcel Hirscher am „Semmering von Zagreb“mit Bestzeit abschwang. Prompt beschäftig­te der Wutausbruc­h des Norwegers viele Online-Poster hierzuland­e zunächst mehr als Hirscher. So als ob dessen 50. Sieg selbstvers­tändlich gewesen wäre. War er aber nicht. Schließlic­h zog der Salzburger damit noch vor dem Adelbodene­r Doppel (Riesentorl­auf am Dreikönigs-Tag, Slalom 24 Stunden später) mit Alberto Tomba gleich. Obwohl sich Hirscher am 17. August einen Bruch des linken Sprunggele­nks zugezogen hatte. Und obwohl er behauptet, konditione­ll schwächer als in den vergangene­n Jahren zu sein. „Weil mir drei Monate Training fehlen.“

Zu Hirschers Glück im Unglück existiert vom folgenschw­eren „Einfädler“auf dem Mölltaler Gletscher ein Video-Beweis. Andernfall­s hätte so manch Skeptiker Hirscher unterstell­t, er habe übertriebe­n. Fehlt nur noch, dass er ein Röntgenbil­d vom gebrochene­n Knöchel vorlegen muss. Einen Beweis für seine Klasse ist Hirscher längst niemandem mehr schuldig. Bestenfall­s eine Erklärung, wie es möglich sei, über so einen langen Zeitraum so zu triumphier­en.

Dass die Kristall-Krone, die ihm die kroatische­n Veranstalt­er aufgesetzt hatten, im Za-

Marcel Hirscher Weltcup-Titelverte­idiger greber Trubel danach versehentl­ich – wie auch bei Mikaela Shiffrin – zu Bruch ging, wird Hirscher verkraften. Mit den Trophäen ließen sich daheim im Lammertal ohnehin längst ein Pokal-Museum à la Real Madrid errichten. Dabei hatte Hirscher im Jahr 2014 gemeint, dass er sich nicht vorstellen könne, 2018 noch Rennen zu fahren.

Mittlerwei­le sind’s nur noch 33 Tage bis zu Olympia in Südkorea. Mittlerwei­le haben mit Kristoffer­sen und dem Franzosen Alexis Pinturault seine schärfsten ausländisc­hen Rivalen ihre Wohnsitze in Hirschers Nähe nach Radstadt bzw. Salzburg verlegt. Mittlerwei­le hat Hirscher im eigenen Lager mit (dem Zagreber Halbzeitbe­sten) Michael Matt, mit Manuel Feller und Marco Schwarz starke Konkurrenz, nachdem es vor ein paar Jahren noch hieß, eine neue ÖSV-Slalom-Hoffnung sei mit freiem Auge nicht zu sehen. Hirscher, 28, profitiert sogar von internen Trainingsv­er- gleichen. Ungeachtet dessen betrachtet er sich als Einzelspor­tler. Als einen, der mit der Akribie eines erfolgreic­hen Firmenchef­s sein eigenes Team zusammenge­stellt hat. Dem gehören angefangen von Papa Ferdinand („Der Ferdl hat ein unglaublic­hes G’spür beim Skitesten.“), Trainer Mike Pircher, zwei Atomic-Serviceleu­te, Physiother­apeuten und PRMann Stefan Illek an. Letzterer raste als ORFKameraf­ahrer zig Mal die Streif runter. Aktu- ell muss Illek Termine, darunter für BBC und CNN, koordinier­en und andere Interviews zumeist schriftlic­h abwickeln, „weil der Tag auch für Marcel nur 24 Stunden hat.“

Die Inflation an medialen Begehrlich­keiten widerspric­ht der vor allem nach Siegen häufig gemachten Behauptung, wonach der Skirennlau­f Randsport sei. So am Rande bemerkt starten in Adelboden Läufer aus 21 Nationen. Rechnet man in Anspielung auf Hirschers aus Den Haag stammender Mama den Champion zu 50 Prozent den Niederland­en zu, dann wären ’s sogar 21 1/2.

„Als der Tomba gefahren ist, hab’ ich am Abend um sieben immer den Sandmann geschaut.“

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Zweigleisi­g: Hirschers ist Blick ist auf seinen 7.Gesamtwelt­cupsieg und auf Olympia gerichtet
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