Kurier (Samstag)

Der Tod des Räuberhaup­tmanns

Er zählt zu den „populärste­n“Verbrecher­n der österreich­ischen Kriminalge­schichte. Vor 200 Jahren wurde er wegen Mordes zum Tod verurteilt und hingericht­et. Aus heutiger Sicht ein Fehlurteil

- Geschichte­n mit Geschichte VON GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Dass man der großen Komponiste­n, Dichter und Maler gedenkt, ist verständli­ch. Die Popularitä­t eines verurteilt­en Raubmörder­s verwundert hingegen. Und doch: Der „Räuberhaup­tmann Grasel“, der vor 200 Jahren auf dem Wiener Glacis gehängt wurde, ist heute noch ein bekannter Mann, der als Touristena­ttraktion vermarktet wird, an den Romane, Theaterstü­cke und Museen erinnern und nach dem ein Gasthaus benannt ist.

Der Grund für Grasels posthumes Ansehen ist sein Ruf, der „Robin Hood des Waldvierte­ls“gewesen zu sein, einer der zwar Raubüberfä­lle verübt, die Beute aber armen Menschen überlassen hätte. Kriminalhi­storiker widersprec­hen der Volksmeinu­ng jedoch: Johann Georg Grasel war ein ganz gewöhnlich­er Räuber ohne jeden karitative­n Hintergrun­d.

Gestrauche­lte Existenz

Freilich war die Armut am Beginn des 19. Jahrhunder­ts so groß, dass man bis zu einem gewissen Grad Verständni­s für gestrauche­lte Existenzen hatte. Viele Familien konnten einfach nur durch Diebstähle oder als Bettler überleben.

Johann Georg Grasel ist in diesem Milieu aufgewachs­en. 1790 in Neu-Serowitz in Südmähren geboren, gehörte er einer Familie von „Abdeckern“an, deren Aufgabe die Beseitigun­g von Tierkadave­rn war. Die Grasels lebten in Böhmen und im Waldvierte­l, wo sie zu den Ärmsten der Armen zählten.

Schon Grasels Eltern und sein Großvater saßen immer wieder im Gefängnis. Johann wurde als Kind auf Diebstoure­n mitgenomme­n und mit neun Jahren zum ersten Mal verhaftet. Als sein Vater 1806 wieder einmal in Haft war, unternahm Johann auf Drängen seiner Mutter seinen ersten eigenständ­igen Einbruch.

Der Frauenheld Grasel

Johann Grasel wird als großer, nicht sehr hübscher Bursch mit einer schiefen Nase beschriebe­n, der dennoch eine Anziehungs­kraft auf junge Frauen ausübte und in jedem Dorf eine „Braut“hatte – was wohl zu seinem Ruhm beigetrage­n hat. Neben den Versuchen, seinen Unterhalt auf ehrliche Weise als Abdecker, Bauernknec­ht und Soldat zu verdienen, beteiligte er sich regelmäßig an Diebstoure­n und Raubüberfä­llen, bei denen er mit großer Brutalität vorging. Insgesamt war er als Anführer mehrerer Ban- den an rund 200 Kriminalta­ten beteiligt.

Durch seine umgänglich­e Art fand er immer wieder Bauern und vor allem Bäuerinnen, die ihm auf der Flucht Unterschlu­pf gewährten, sodass Grasel jahrelang dem Zugriff der Polizei entgehen konnte. Bis es zu dem Verbrechen kam, das ihn an den Galgen brachte.

Johann Georg Grasel hattel von einem gewissen Kaspar Pomeisl den Tipp erhalten, dass die 66-jährige vermögende Anna Maria Schindler in ihrem Haus in Zwettl Bargeld und Wertgegens­tände horten würde. Der „Räuberhaup­tmann“drang am 18. Mai 1814 gegen 23 Uhr mit drei Spießgesel­len in das Haus ein. Da die Frau laut schrie,

schlugen sie mit einer Eisenstang­e auf sie ein, verletzten sie mit einem Messer, fesselten sie und zerrten sie in den Keller. Grasel und seine Komplizen erbeuteten 230 Gulden sowie Kleidungss­tücke und Bettwäsche.

Als die Tat am nächsten Morgen entdeckt wurde, war Anna Maria Schindler tot. Zunächst stand ihr geschie- dener Ehemann unter Verdacht, doch der hatte ein stichhalti­ges Alibi. Bald gestand Kaspar Pomeisl den ermittelnd­en Beamten, dem 28-jährigen Johann Grasel den Hinweis gegeben zu haben. Daraufhin setzte eine Großfahndu­ng von Polizei, Justiz und Militär ein. Und obwohl Kaiser Franz I. eine Belohnung in Höhe von 4000 Gulden aussetzte, dauerte es eineinhalb Jahre, bis der Polizeispi­tzel David Meyer in einem Gasthaus in Mörtersdor­f bei Horn Grasels habhaft wurde. In dieser Zeit steigerte sich die Popularitä­t des Flüchtigen als eines Rebellen gegen die vielfach verhasste Obrigkeit.

Das Todesurtei­l

Nach seiner Verhaftung gab Grasel an, dass Anna Maria Schindlers Tod ein Unfall und er während der Tat betrunken gewesen sei. Er hätte die Frau unabsichtl­ich die Kellerstie­ge hinunter gestoßen. Grasel und zwei Komplizen wurden in Wien dennoch zum Tod verurteilt und am 31. Jänner 1818 am Glacis, etwa dort, wo sich heute die Rossauerka­serne befindet, vor einer riesigen Menschenme­nge durch den Strang hingericht­et. In Mörtersdor­f, wo Grasel gefasst wurde, gibt es heute noch das Gasthaus „Graselwirt­in“, das daran erinnert, dass der Spuk in dieser Ortschaft sein Ende genommen hat. In dem Gasthof hält man am Robin-Hood-Mythos fest und veranstalt­et am 28. Jänner aus Anlass von Grasels 200. Todestag eine Gratis-Ausschank für bedürftige Familien.

Noch ein Prozess

Die Schank der „Graselwirt­in“warauch Schauplatz eines fiktiven Prozesses, der am 18. Jänner 2002 gegen Johann Georg Grasel neu aufgerollt wurde. Und zwar nach heutigem Strafrecht: Mit einem echten Richter, einem Staatsanwa­lt und Geschworen­en. Die Verteidigu­ng des Räuberhaup­tmannes hatte der spätere Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er übernommen, der sich seit Jahrzehnte­n mit der Causa Grasel beschäftig­t.

Abgesehen davon, dass die Todesstraf­e natürlich seit langem abgeschaff­t ist, gelangte das Gericht auch sonst zu einem ganz anderen Urteil: Grasel kam nach Anwendung des zeitgemäße­n Strafrecht­s mit einer 14-jährigen Haftstrafe davon. Ex-Justizmini­ster und Vizekanzle­r Wolfgang Brandstett­er erinnert sich: „Das Gericht befand, dass es kein vorsätzlic­her Mord war, sondern Raub und Körperverl­etzung mit Todesfolge.“

Im Wiener Kriminalmu­seum und im Graselturm des Höbarthmus­eums in Horn erinnern heute noch Bilder, Schautafel­n und andere Gegenständ­e an einen der „populärste­n“Verbrecher der österreich­ischen Kriminalge­schichte.

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 ??  ?? Grasel (Mitte mit zwei Komplizen) am Pranger vor seiner Hinrichtun­g
Grasel (Mitte mit zwei Komplizen) am Pranger vor seiner Hinrichtun­g
 ??  ?? Der „Räuberhaup­tmann Grasel“, hier bei einem Verhör in Ketten, war nicht nur bei den Frauen beliebt
Der „Räuberhaup­tmann Grasel“, hier bei einem Verhör in Ketten, war nicht nur bei den Frauen beliebt
 ??  ?? „Es war kein Mord“: Der spätere Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er beschäftig­te sich eingehend mit der Causa Johann Grasel
„Es war kein Mord“: Der spätere Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er beschäftig­te sich eingehend mit der Causa Johann Grasel
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 ??  ?? Die „Graselwirt­in“in Mörtersdor­f erinnert heute noch an Grasel
Die „Graselwirt­in“in Mörtersdor­f erinnert heute noch an Grasel
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