Der Tod des Räuberhauptmanns
Er zählt zu den „populärsten“Verbrechern der österreichischen Kriminalgeschichte. Vor 200 Jahren wurde er wegen Mordes zum Tod verurteilt und hingerichtet. Aus heutiger Sicht ein Fehlurteil
Dass man der großen Komponisten, Dichter und Maler gedenkt, ist verständlich. Die Popularität eines verurteilten Raubmörders verwundert hingegen. Und doch: Der „Räuberhauptmann Grasel“, der vor 200 Jahren auf dem Wiener Glacis gehängt wurde, ist heute noch ein bekannter Mann, der als Touristenattraktion vermarktet wird, an den Romane, Theaterstücke und Museen erinnern und nach dem ein Gasthaus benannt ist.
Der Grund für Grasels posthumes Ansehen ist sein Ruf, der „Robin Hood des Waldviertels“gewesen zu sein, einer der zwar Raubüberfälle verübt, die Beute aber armen Menschen überlassen hätte. Kriminalhistoriker widersprechen der Volksmeinung jedoch: Johann Georg Grasel war ein ganz gewöhnlicher Räuber ohne jeden karitativen Hintergrund.
Gestrauchelte Existenz
Freilich war die Armut am Beginn des 19. Jahrhunderts so groß, dass man bis zu einem gewissen Grad Verständnis für gestrauchelte Existenzen hatte. Viele Familien konnten einfach nur durch Diebstähle oder als Bettler überleben.
Johann Georg Grasel ist in diesem Milieu aufgewachsen. 1790 in Neu-Serowitz in Südmähren geboren, gehörte er einer Familie von „Abdeckern“an, deren Aufgabe die Beseitigung von Tierkadavern war. Die Grasels lebten in Böhmen und im Waldviertel, wo sie zu den Ärmsten der Armen zählten.
Schon Grasels Eltern und sein Großvater saßen immer wieder im Gefängnis. Johann wurde als Kind auf Diebstouren mitgenommen und mit neun Jahren zum ersten Mal verhaftet. Als sein Vater 1806 wieder einmal in Haft war, unternahm Johann auf Drängen seiner Mutter seinen ersten eigenständigen Einbruch.
Der Frauenheld Grasel
Johann Grasel wird als großer, nicht sehr hübscher Bursch mit einer schiefen Nase beschrieben, der dennoch eine Anziehungskraft auf junge Frauen ausübte und in jedem Dorf eine „Braut“hatte – was wohl zu seinem Ruhm beigetragen hat. Neben den Versuchen, seinen Unterhalt auf ehrliche Weise als Abdecker, Bauernknecht und Soldat zu verdienen, beteiligte er sich regelmäßig an Diebstouren und Raubüberfällen, bei denen er mit großer Brutalität vorging. Insgesamt war er als Anführer mehrerer Ban- den an rund 200 Kriminaltaten beteiligt.
Durch seine umgängliche Art fand er immer wieder Bauern und vor allem Bäuerinnen, die ihm auf der Flucht Unterschlupf gewährten, sodass Grasel jahrelang dem Zugriff der Polizei entgehen konnte. Bis es zu dem Verbrechen kam, das ihn an den Galgen brachte.
Johann Georg Grasel hattel von einem gewissen Kaspar Pomeisl den Tipp erhalten, dass die 66-jährige vermögende Anna Maria Schindler in ihrem Haus in Zwettl Bargeld und Wertgegenstände horten würde. Der „Räuberhauptmann“drang am 18. Mai 1814 gegen 23 Uhr mit drei Spießgesellen in das Haus ein. Da die Frau laut schrie,
schlugen sie mit einer Eisenstange auf sie ein, verletzten sie mit einem Messer, fesselten sie und zerrten sie in den Keller. Grasel und seine Komplizen erbeuteten 230 Gulden sowie Kleidungsstücke und Bettwäsche.
Als die Tat am nächsten Morgen entdeckt wurde, war Anna Maria Schindler tot. Zunächst stand ihr geschie- dener Ehemann unter Verdacht, doch der hatte ein stichhaltiges Alibi. Bald gestand Kaspar Pomeisl den ermittelnden Beamten, dem 28-jährigen Johann Grasel den Hinweis gegeben zu haben. Daraufhin setzte eine Großfahndung von Polizei, Justiz und Militär ein. Und obwohl Kaiser Franz I. eine Belohnung in Höhe von 4000 Gulden aussetzte, dauerte es eineinhalb Jahre, bis der Polizeispitzel David Meyer in einem Gasthaus in Mörtersdorf bei Horn Grasels habhaft wurde. In dieser Zeit steigerte sich die Popularität des Flüchtigen als eines Rebellen gegen die vielfach verhasste Obrigkeit.
Das Todesurteil
Nach seiner Verhaftung gab Grasel an, dass Anna Maria Schindlers Tod ein Unfall und er während der Tat betrunken gewesen sei. Er hätte die Frau unabsichtlich die Kellerstiege hinunter gestoßen. Grasel und zwei Komplizen wurden in Wien dennoch zum Tod verurteilt und am 31. Jänner 1818 am Glacis, etwa dort, wo sich heute die Rossauerkaserne befindet, vor einer riesigen Menschenmenge durch den Strang hingerichtet. In Mörtersdorf, wo Grasel gefasst wurde, gibt es heute noch das Gasthaus „Graselwirtin“, das daran erinnert, dass der Spuk in dieser Ortschaft sein Ende genommen hat. In dem Gasthof hält man am Robin-Hood-Mythos fest und veranstaltet am 28. Jänner aus Anlass von Grasels 200. Todestag eine Gratis-Ausschank für bedürftige Familien.
Noch ein Prozess
Die Schank der „Graselwirtin“warauch Schauplatz eines fiktiven Prozesses, der am 18. Jänner 2002 gegen Johann Georg Grasel neu aufgerollt wurde. Und zwar nach heutigem Strafrecht: Mit einem echten Richter, einem Staatsanwalt und Geschworenen. Die Verteidigung des Räuberhauptmannes hatte der spätere Justizminister Wolfgang Brandstetter übernommen, der sich seit Jahrzehnten mit der Causa Grasel beschäftigt.
Abgesehen davon, dass die Todesstrafe natürlich seit langem abgeschafft ist, gelangte das Gericht auch sonst zu einem ganz anderen Urteil: Grasel kam nach Anwendung des zeitgemäßen Strafrechts mit einer 14-jährigen Haftstrafe davon. Ex-Justizminister und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter erinnert sich: „Das Gericht befand, dass es kein vorsätzlicher Mord war, sondern Raub und Körperverletzung mit Todesfolge.“
Im Wiener Kriminalmuseum und im Graselturm des Höbarthmuseums in Horn erinnern heute noch Bilder, Schautafeln und andere Gegenstände an einen der „populärsten“Verbrecher der österreichischen Kriminalgeschichte.