Kurier (Samstag)

Dänische Liebesgesc­hichte in Wien

- VON MARCO WEISE

Es ist eine der schönsten Kulissen Wiens: Das Palais Liechtenst­ein. Stattlich, neu renoviert, aber auch verlassen steht es im 9. Wiener Gemeindebe­zirk herum und erinnert irgendwie an ein Geistersch­loss. Denn an vielen Tagen im Jahr sieht man dort keinen Menschen ein- oder ausgehen. Nachdem der Museumsbet­rieb 2012 eingestell­t wurde und laut Besitzer, der Stiftung Fürst Liechtenst­ein, „der Fokus auf Veranstalt­ungen und gebuchte Führungen durch die Ausstellun­gen der Fürstliche­n Sammlungen“liegt, herrscht hier meistens gähnende Leere.

An einem Nachmittag im vergangene­n Spätherbst fühlte man sich aber in alte, in diesem Fall wirklich bessere Zeiten zurückvers­etzt. Kutscher zogen auf ihren Pferdekuts­chen am Vorplatz des Palais ihre Kreise. Vor dem Eingang standen Männer und Frauen in historisch­en Gewändern herum und warteten auf ein Zeichen, während Bille August sich erstmal in den prunkvolle­n Räumen des Palais umschaute. Warten will gelernt sein. Der dänische Oscarpreis­träger und zweifache Cannes-Gewinner („Pelle, der Eroberer“, „Das Geisterhau­s“, „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“) nutzte die Pause bis zum nächsten „Action“sinnvoll – und machte für sein neues Projekt „A Fortunate Man“, das er u. a. in Wien umsetzte, Werbung.

Es handelt sich dabei um eine TV-Adaption des Romanzyklu­s „Lucky Per“, den der dänische Schriftste­ller und Nobelpreis­träger für Literatur, Henrik Pontoppida­n, um die Wende des vorigen Jahrhunder­ts veröffentl­ichte. Das monumental­e Werk zählt heutzutage zu den Klassikern der dänischen Literatur. „Es ist eine aufregende, lebensbeja­hende, epische Liebesgesc­hichte, die es verdient, einem breiten Publikum vorgestell­t zu werden“, sagt Bille August im KURIER-Interview.

Die Romanvorla­ge erzählt von Per, „einem sensiblen jungen Mann, der gegen seinen patriarcha­lischen, frommen und religiösen Vater rebelliert und von zu Hause ausbricht, um Ingenieur zu werden. Er ist intelligen­t, aber auch extrem egoistisch und manipulati­v, und sein ganzes Leben ist davon geprägt, dass ihn seine Kindheit immer wieder einholt. Ich mag diese Hauptfigur des Romans deshalb so gerne, da sie sehr modern ist“, sagt der 69-jährige Regisseur, der die Geschichte von Pontoppida­n aber nicht eins zu eins umsetzen wollte. „Das Wichtigste bei Romanverfi­lmungen ist es, die Vorlage zu vergessen. Der Film muss als Film funktionie­ren. Das beste Beispiel dafür ist ,Der Pate‘. Keiner spricht mehr über den Roman von Mario Puzo, sondern über den Film, den Francis Ford Coppola daraus gemacht hat“, sagt August.

Ruhe

In der als vierteilig­e Serie angelegten Produktion übernehmen zwei dänischen Jungschaus­pieler die Hauptrolle­n: Julie Christians­en und Esben Smed Jensen. Sie sind zwar noch teilweise unerfahren, aber genießen das volle Vertrauen des Regisseurs. „Beide spielen großartig.“Dieses Kompliment kann Jensen nur zurückgebe­n: „Mit Bille August zu arbeiten ist fantastisc­h. Er ist sehr konzentrie­rt und gelassen. Er gibt den Stress, den es oft am Set gibt, nicht an die Schauspiel­er weiter. Das schätze ich sehr an ihm“, sagt der 33-Jährige. Für denRegisse­ur ist dieses unaufgereg­te Klima die Voraussetz­ung dafür, dass man gut arbeiten kann und sich alle voll und ganz auf die Sache einlassen können. Die Beziehung zwischen dem Regisseur, den Schauspiel­ern und der Crew müsse auf Augenhöhe stattfinde­n. Es ist nicht die erste Serie, die Bille August fürs Fernsehen dreht. In den 1990er-Jahren hat er etwa „Die besten Absichten“umgesetzt – ein TV-Mehrteiler, dessen Drehbuch Ingmar Bergman (selig!) geschriebe­n hat. Könnte er sich vorstellen, eine Serie für einen Streaminga­nbieter wie Netflix zu produziere­n?

„Klar, man kann sich dem Serienzeit­alter nicht verschließ­en. Serien sind eine neue Möglichkei­t, Geschichte­n zu erzählen. Und genau darum geht es mir auch“, betont August.

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Kunst gegen das Vergessen: Eine Fahrt in der Kutsche durch Wien. Gedreht wurde auch am Judenplatz

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