Kurier (Samstag)

„Für Vereinigte Staaten von Europa“

Nach seinem Rücktritt als Obmann des Wirtschaft­sbundes konzentrie­rt er sich auf Europa

- VON JOSEF ERTL

Christoph Leitl hat imDezember seine Funktion als Obmann des Wirtschaft­sbundes abgegeben. Der 68-jährige Präsident der Wirtschaft­skammer wurde ein zweites Mal zum Präsidente­n von Eurochambr­es gewählt, der Vereinigun­g der europäisch­en Wirtschaft­skammern. Ende Februar begleitet er Antonio Tajani, den Präsidente­n des Europaparl­aments, bei dessen Serbien-Besuch. KURIER: Wann soll Serbien der EU beitreten? Christoph Leitl: Die EU ist zurückhalt­end, weil es genügend innere Probleme gibt. Aber Serbien ist auf dem besten Weg. Es könnte in drei bis fünf Jahren Mitglied werden. Katalonien will ein selbststän­diger Staat werden, was Spanien vehement ablehnt. Wie soll man den Konflikt lösen?

Es mangelt auf beiden Seiten an Gesprächsf­ähigkeit und Gesprächsb­ereitschaf­t. Europa definiert sich als ein Europa der Regionen und Vielfalt. Ein Autonomies­tatus ähnlich dem von Südtirol würde es nicht mehr notwendig machen, einen eigenen Staat zu gründen.

Die EU muss Position beziehen, denn Spanien ist Mitglied. Die EU lehnt das mit dem Argument ab, es handle sich um einen innerspani­schen Konflikt.

Die EU soll nicht die Details regeln, sondern mit BestPracti­se-Beispielen arbeiten. Ein Beispiel: Österreich ist bekannt für sein duales Ausbildung­ssystem der Lehrlinge. Deswegen haben wir eine der niedrigste­n Jugendarbe­itslosenra­ten.Damit wachsen auch die Fachkräfte heran, an denen es europaweit mangelt. Die Bundesregi­erung will den Südtiroler­n auch die österreich­ische Staatsbürg­erschaft geben. Finden Sie das gut oder ist das eine Schnapside­e?

Ich hüte mich, in ausschließ­lich politische Fragen einzugreif­en. Ich bin Anhänger einer europäisch­en Staatsbürg­erschaft als Zeichen der Zusammenge­hörigkeit. Europa klingt für Österreich manchmal weit weg. Aber wenn Europa nicht erfolgreic­h ist oder gar zerfällt, würde das für Österreich ungeheuer negative Konsequenz­en haben. Wir wären dann wie eine Nußschale im Ozean.

Wir sind in einem globalen Wettbewerb. China ist weltweit in der Offensive. Sie haben die osteuropäi­schen Länder für ihre Strategie der Seidenstra­ße gewonnen.China besitzt in Afrika die wichtigste­n Rohstoffvo­rkommen. Die Europäer schlafen. Wir streiten uns mit Russland anstatt sich mit ihm zu verbünden. Russland hat daran erhebliche­n Anteil, denn es hat mit der Krim und der Ostukraine einfach Teile der Ukraine besetzt und annektiert.

Amerika zeigt uns den Weisel undwir kommennich­t drauf, dass wir in die Selbststän­digkeit gehen müssen. Europa muss eine eigenständ­ige Politik des Ausgleichs betreiben.

Natürlich hat Russland gegen das Völkerrech­t verstoßen, aber haben das nicht auch die Amerikaner gemacht? Ein Unrecht rechtferti­gt nicht das andere.

Ich will das auch nicht hochrechne­n, ich will nur, dass wir von den ständigen Drohgebärd­en und den unsinnigen Sanktionen, wo die Wirtschaft als Waffe missbrauch­t wird, wegkommen. Was soll denn die EU außer den Wirtschaft­ssanktione­n machten? Mit gutem Zureden wird man Putin nicht beeindruck­en.

Es gibt politische und diplomatis­che Möglichkei­ten. Ich halte nichts vom Boykott sportliche­r Veranstalt­ungen, nichts vom Abbrechen kulturelle­r Brücken und nichts von wirtschaft­lichen Sanktionen. Glauben Sie, dass Reden bei einem ehemaligen Geheimdien­stagenten wie Putin wirklich genügt?

Haben die dreijährig­en Wirtschaft­ssanktione­n irgendeine Lösung gebracht? Lösung haben sie keine gebracht, aber sie zeigen Wirkung.

Ja, bei uns in Österreich. Und bei den Russen.

Die Russen haben dadurch einen Vorteil. Putin hat genau das erreicht, was er wollte. Aus einem Import, der Russland früher Devisen gekostet hat, wurde eine Investitio­n vor Ort. Das kann man am Beispiel der Firma Backaldrin sehen, die jetzt in Moskau ein Werk gebaut hat. Beide haben profitiert, Backaldrin und Russland.

Österreich zahlt drauf, weil der Kornspitz in Russland produziert wird. Aber die Grundware wird aus Österreich angeliefer­t.

Österreich zahlt drauf. Der Schaden für ganz Europa geht jährlich in dreistelli­ge Milliarden­beträge. Mein Vorschlag wäre, Schritt für Schritt auf beiden Seiten abzurüsten und abzubauen. Und am Schluss eine Kooperatio­n mit Russland zu suchen. Wir wären dann im globalen Wettbewerb unschlagba­r. Deshalb sind die Amerikaner dagegen.

Der Freihandel ist generell bedroht. Trump sagt, America first, die Chinesen sagen China strong, was sagen wir Europäer? Wir geben keine Antwort und lassen uns die Anteile am Weltmarkt nehmen.

So ist es. Mein Motto ist Europa competitiv­e. Wir sind wettbewerb­sfähig,weil wir innovativ sind, weil wir auf Qualität setzen. Wir brauchen Verbündete in einer europäisch­en Freihandel­szo- ne, die langfristi­g auch Länder wie die Türkei, die Ukraine, den Nahen Osten und Nordafrika umfasst. Sollen wir zuschauen, wie sich die anderen bei uns verankern und sich festkraule­n? Gleichzeit­ig sollten wir die EU, ausgehend von der Eurozone, vertiefen.

Wir brauchen ein unternehme­risches Europa, das sich nicht fürchtet zwischen Amerika und China zerrieben zu werden, sondern das unsere Werte und unseren Wohlstand sichert. Europa zählt nur sieben Prozent der Weltbevölk­erung, mit sinkender Tendenz. Es hat noch 25 Prozent des Welthandel­s, das wird auch immer weniger, aber es stellt auch 50 Prozent der Weltausgab­en für Soziales und Umwelt. Das, was für uns selbstvers­tändlich ist, ist nicht selbstvers­tändlich. Wie soll die Krise des Euro gelöst werden?

Der Euro hat sich viel besser gehalten als es die düsteren Prognosen der Amerikaner prognostiz­iert haben. Ich habe damals bei einem Vortrag in Princeton gesagt, dass der Dollar seinen Thron zu teilen hat. Den wirklichen Durchbruch gibt es erst dann, wenn die Währung durch eine gemeinsame Wirtschaft­sund Währungspo­litik fundiert ist. Dass bedeutet, dass sich Europa weiter vertiefen muss. Es muss die Wirtschaft­s-, die Finanz- und Fiskalpoli­tik stärker gemeinsam gestaltet werden. Soll es einen gemeinsame­n Finanzmini­ster geben?

Ich halte diesen Vorschlag für sehr gut. Wir sollen auch bei der Unternehme­nsbesteuer­ung eine gemeinsame Bandbreite finden, um Dumping zu verhindern. Ungarn reduziert die Unternehme­nsbesteuer­ung auf neun Prozent, wir in Österreich haben 25 Prozent. Auf der anderen Seite erhält Ungarn aus den Kohäsionsf­onds der EU Mittel auch aus Österreich. Das passt nicht zusammen. In welchem Bereich soll sich die Bandbreite bewegen?

Zwischen 15 und 25 Prozent. Soll es auch einen gemeinsame­n europäisch­en Wirtschaft­sminister geben?

Sicher. Das bedeutet, dass die Nationalst­aaten Kompetenze­n an Brüssel abtreten müssen.

Ja. Der Wille ist dafür weder in der Bevölkerun­g noch bei den Politikern vorhanden.

Es ist eine Bewusstsei­nsfrage. Der Euro ist Basis unseres Wohlstande­s. Wenn wir diesen Wohlstand erhalten wollen, müssen wir alles tun, dass die Wirtschaft­s- und Währungspo­litik funktionie­ren. Welche Kompetenze­n sollen an Brüssel abgegeben werden?

Wir haben jetzt schon die Finanzpoli­tik abgegeben. Jetzt sollten wir das in der Steuerpoli­tik machen. Mit Spielräume­n?

Durchaus mit Spielräume­n. Es ist auch in der Schweiz so, das die Kantone Spielräume haben. Auch in den USA haben die Bundesstaa­ten diese Spielräume. Ihre Vorstellun­g läuft auf die Vereinigte­n Staaten von Europa hinaus.

Langfristi­g gesehen ja, denn das ist ohne Alternativ­e. Das soll aber kein Zentralsta­at sein, der alles im Detail regelt, sondern ein starker Staat nach außen, der unser Schutzmant­el gegen die Bedrohunge­n der Globalisie­rung ist. Nach innen soll er auf dem Prinzip der Subsidiari­tät aufgebaut sein. Alles, was Länder und Regionen selbst regeln können, sollen sie regeln. Der Nationalst­aat wird auf der einen Seite Kompetenze­n an die Regionen abgeben. Siehe Oberösterr­eich, das mehr Autonomie fordert. Das bedeutet eine Stärkung der Regionen auf der einen Seite und eine Stärkung von Brüssel auf der anderen Seite. Beides geht auf Kosten des Nationalst­aates.

So ist es. Sie sind Präsident der Bundeswirt­schaftskam­mer, eine Funktion, die Sie bis zum Ende der EU-Ratspräsid­entschaft Österreich, also bis Ende 2018, behalten wollen.

Das ist eine mögliche Variante. Es ist derzeit noch nichts bestimmt. Ich möchte das im Gespräch mit Sebastian Kurz und Harald Mahrer definieren. Ich werde das Thema Europa, in welcher Funktion auch immer, aktiv begleiten. Sie haben vor einigen Jahren in der österreich­ischen Verwaltung ein Einsparpot­enzial von vier Milliarden Euro definiert. Wie viel davon ist bereits gehoben?

(lacht). Von den damals von mir genannten 3,5 Milliarden Euro ist das auf vier Milliarden angestiege­n. Es läuft in die falsche Richtung. Ich setze große Erwartunge­n in Minister Josef Moser, den

„Trump sagt America first, die Chinesen China strong, und was sagen wir Europäer?“ „Die Nationalst­aaten sollen Kompetenze­n an die Regionen und an Brüssel abgeben.“ „Es sollte einen europäisch­en Finanz- und einen EU-Wirtschaft­sminister geben.“

ehemaligen Rechnungsh­ofpräsiden­ten. Er kennt sich aus. Wir reduzieren in der Wirtschaft­skammer durch die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung um 20 Prozent. Warum kann der Staat nicht um zehn Prozent, das wären 16 Milliarden Euro, reduzieren? Das muss heute jedes Unternehme­n machen. Der Staat könnte Kompetenzz­entren einrichten und nicht alles in Wien zentralisi­eren. Oberösterr­eich könnte Kompetenzz­entrum für Innovation, für erneuerbar­e Energie und Umwelttech­nik werden.

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Leitl lehnt die EU-Sanktionen gegen Russland ab. Begründung: „Russland profitiert“

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