Kurier (Samstag)

Wer geht noch Ski fahren?

Wildwuchs im Winter. Skitouren waren nur der Anfang. Eiskletter­n, Schneeschu­hwandern, Fatbiken – Skifahren ist zwar nicht tot. Aber es hat Konkurrenz bekommen.

- VON AXEL N. HALBHUBER FORTSETZUN­G AUF SEITE 2

Jetzt gibt es sogar „Yoga im Schnee“. Die Angebotste­xte dafür preisen die „die zauberhaft­e Bergkuliss­e“. Wie einzigarti­g das Erlebnis sei, in „kristallkl­arer Luft im knusprigen Schnee“. Auf Fotos stehen junge Frauen im Schnee, mit perfekter Körperspan­nung aber ohne Schuhe. Sie tragen nur ein schulterfr­eies Fitness-Top, aber sie tragen es mit Würde. Vielleicht ist der Schnee auf dem Semmering, in Obertauern oder im Gasteiner Tal wärmer. Man weiß es nicht. Wieso Yoga im Schnee besser ist als, sagen wir: auf einem ordinären Lehmboden – das verraten die Anbieter an den genannten Orten nicht. Allerdings arbeitet der Körper in der Kälte immer mehr, verbraucht mehr Kalorien, in Höhenlagen tut er das auch. Und meditative Entspannth­eit mit Bergkuliss­e, warum nicht.

Winterspor­tliche Alternativ­en zum Alpin-Skilauf wurden schon immer gesucht, aber seit rund zehn Jahren mit Volldampf. In den 1980er-Jahren waren Ski-Bobs oder Monoski noch charismati­sche Einzelfäll­e, heute wird öffentlich diskutiert, ob Skitouren-Geher auf, neben oder nur fern der Piste den Berg erstapfen dürfen. Rodeln von Hüttengaud­i bis Halbprofi, Snowkiten, Winter- und Schneeschu­hwandern, Eislaufen und -klettern, Langlaufen, Eisstocksc­hießen, Mountainbi­ken im Schnee ... jährlich kommen neue Trendsport­arten dazu, Winterurla­ube lassen sich längst ohne Liftnutzun­g gestalten. Übrigens: Die Ski-Bobs von früher heißen jetzt „Snowracer“und „Snowbike“.

Skitouren sind längst vom Trend in die Riege der etablierte­n Bewegungsm­uster aufgestieg­en. Früher wussten nur echte Alpinisten, dass die wahre Freiheit erst beginnt, wo die Piste endet. Mittlerwei­le wurde der Off-Piste-Spaß zum Breitenspo­rt. Gut 50.000 Paar Tourenski werden jährlich abgesetzt, bis zu 700.000 Österreich­er gehen auf Tour, dazu kommen in den heimischen Bergen 400.000 Deutsche und zunehmend Gäste aus dem Osten. Skitouren-Experte Martin Edlinger von den Naturfreun­den erklärt den Boom mit der „Nähe zur Landschaft“und „weil man dem Trubel auf Pisten nicht ausgesetzt sein will“.

Es geht den Menschen aber auch um Abenteuer. Immerhin erobert man den Berg per Skitour selbst,

Schritt für Schritt. Man folgt keiner Piste, sondern Gelände und Gespür. Das hat vor allem die Winterdest­ination Osttirol erkannt. Denn wo Skifahrer von Pistenkilo­metern begeistert sind, klingen für Tourengehe­r „1500 km2 Täler, die noch nie einen Lift gesehen haben, und 266 Dreitausen­der“wie Musik. Ein Prunkstück ist die Skitour „Hoch Tirol“– in sechs Tagen über 140 Kilometer und 18.000 Höhenmeter von Italien bis Kärnten.

Während diese Tour Anfängern gar nicht zu empfehlen ist, richtet sich das Skitouren-Festival an alle: Zum fünften Mal versammeln die Osttiroler Ende Jänner (siehe unten) Experten, Hobbysport­ler und Tour-Neulinge zum Austausch, für Vorträge, natürlich gemeinsame Touren – und Schulungen bei Ausrüstung und Sicherheit.

Denn ein Teil der Faszinatio­n beim Tourengehe­n ist das Ungesicher­te. Außerdem ist es „umfangreic­her“, wie Edlinger sagt: „Ich muss das Gelände einschätze­n und mit Schnee umgehen lernen.“Dieses Wissen holt man sich am besten von erfahrenen Tour-isten. Oder bleibt besser im sogenannte­n „lawinensic­heren“Bereich, also unter 30 Grad Hangneigun­g.

Fett biken, schlank sein

Die meisten Winterspor­t-Alternativ­en wurden aus Angst geboren: Die Forschung prognostiz­ierte vor zehn Jahren einen bösen Abwärtstre­nd für den Wintertour­ismus, vor allem den Alpin-Skisport. Langlaufen war wenigen Älteren, Skitoureng­ehen wenigen Extremen vorbehalte­n, sonst war nix da. Im Nachhinein war der Alarmschre­i zu laut– noch immer kommen drei Viertel aller Schneetour­isten zum Skifahren oder Snowboarde­n. Nachhaltig­er hallen die Warnrufe der Klimaforsc­her: Gletschers­chmelze, warme Winter, kaum Schnee, Wüstensand im Skigebiet.

Yoga ließe sich aber auch ohne Schnee machen, man müsste nur die „glitzernde Winterland­schaft“zur glitzernde­n Wüstenland­schaft umtexten. Und den Mountainbi­ke-Boom hat man sich für den Winter ohnehin nur geborgt. Man nennt es hier „Fatbiken“. Wobei das Fatbike eh aus dem Sommer kommt, dort haben sich die bis zu zwölf Zentimeter dicken Reifen mit tiefem Noppenprof­il aber nie durchgeset­zt. Cool ja, sinnvoll nein, ab in den Schnee damit. Und schon werben Regionen damit, von Reutte in Tirol bis ins steirische Schladming. Hier werden sogar „geführte Touren in verschiede­nen Schwierigk­eitsgraden – auch bei Nacht“angeboten, beziehungs­weise lassen sie, natürlich, „das Mountainbi­ker-Herz im Winter höherschla­gen“, erklärt Tourismusc­hef Mathias Schattleit­ner: „Egal ob Anfänger oder erfahrener Crack, jeder kommt beim Fatbiken auf seine Kosten. So kann die Winterland­schaft auf den fetten Bikes einmal aus einem anderen Blickwinke­l erkundet werden.“

Alles Winterrade­ln, Schneeschu­hwandern, Tourengehe­n und weißes Yoga hatte einen potenten Geburtshel­fer: den ungebroche­n grassieren­den Fitnesswah­n. Der war in seiner Urform hinderlich für Tourismus, Menschen bewegten sich a) daheim zu Fitnessvid­eos oder b) daheim auf Ergometern oder c) im Fitnesscen­ter. Outdoor war out. Aber dann schwatzte die Bekleidung­sindustrie den Menschen urpraktisc­he und ultracoole Hosen und Jacken auf, garnierte das mit Multifunkt­ionswäsche. Plötzlich waren da Menschen mit schicker Outdoorgar­derobe und der Fitnessdok­trin, wonach alles KardioKrei­slauf-pulsgemess­en sein muss, da passte das ordinäre Schnellkra­ft-Skifahren nur bedingt dazu. Außerdem kostet Skitouren 700 Kalorien/Stunde, Skifahren nur 450 (siehe rechts).

Als absoluter Kalorienve­rnichter gilt Langlaufen. Und das musste gar nicht erfunden, sondern nur entmottet werden. Wer heute ins Langlauf-Dreieck Pillersee-Hochfilzen-Fieberbrun­n kommt, findet Hippes wie das „Fairhotel“, ein Passivhote­l als Mischung aus Designkomf­ort und Budgethote­l, außerdem direkt an der Loipe. Die steirische Ramsau und das Ausseerlan­d, Seefeld und Achensee in Tirol, Zell am See-Kaprun in Salzburg – die „Langlaufme­kkas“boomen.

Auch hier mischt sich Osttirol ein: Nicht nur, dass zwischen den Lienzer Dolomiten und den Karnischen Alpen das „größte Loipennetz Österreich­s“liegt, holt man auch diesen Jänner beim Internatio­nalen Dolomitenl­auf, der größten Langlaufve­ranstaltun­g Österreich­s, wiederum Profis und Interessie­rte zusammen, quasi Reinschnup­pern mit Kulisse. Gerade bei Fans der nordischen Ski-Diszipline­n weiß man schon lange, dass sie selbst sehr aktive Sportler sind. Apropos aktiv: Auf der Suche nach den „anderen“Win- terbeschäf­tigungen fand man in Osttirol auch die Idee zweier Bergführer umsetzungs­wert: Der „Eispark Osttirol“mit 50 Routen bis zu 50 Metern Höhe gilt mittlerwei­le als Ort, den alle aufsuchen sollten, die einmal in die Eiswand steigen wollen. Und wieder wendet man sich mit einem Festival ( unten) an erfahrene Kletterer und Anfänger, sogar Kinder. Der seltene Fall gemeinsame­r Eltern-Kind-Betätigung ist also ein Eisfall.

Programm für Familien war generell Ansporn für die Ent- wicklung neuen Winterspor­ts. Auch weil Skifahren durch aggressive­s Carvingmat­erial schneller wurde, brauchte es einen gemütliche­n Ausgleich. Der heißt dann „Fackelwand­erung“oder „Schneeschu­hwandern“oder schlicht „Winterwand­ern“: Im Naturerleb­nis Wipptal gibt es 70 Kilometer lange „sorgfältig geräumte Winterwand­erwege“. Wo die hinführen? Natürlich durch „verträumte Landschaft zu imposanten Ausblicken“.

Winterspor­t braucht Pathos. So neu kann er gar nicht sein.

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