Kurier (Samstag)

Das Martyrium im Horrorhaus

Staatsanwa­lt: „Irgendjema­nd muss doch etwas gemerkt haben“

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

Sie durften nur einmal im Jahr duschen. Und wenn sie beim Händewasch­en oberhalb des Handgelenk­s agierten, wurden sie bestraft, weil das als verbotenes „Spielen mit Wasser“galt.

Einen Zahnarzt haben sie in ihrem Leben nie gesehen. Sie wurden nur ein Mal am Tag mit Essen versorgt. Was dazu führte, dass sie allesamt so unterernäh­rt und in ihren kognitiven Fähigkeite­n eingeschrä­nkt sind, weil ihre Muskeln kaum ausgebilde­t sind und ihr Wachstum zum Stillstand kam; das älteste Kind (29) wiegt heute gerade einmal 40 Kilogramm.

Sie waren oft wochenoder monatelang erst mit Seilen, dann mit Ketten an ihre Betten gefesselt und mussten ihre Notdurft ohne Toilette verrichten. Sie durften keine Spielzeuge besitzen, obwohl das Haus voll war mit unausgepac­kten Geschenken.

Sie durften die Apfelkuche­n und Torten nur ansehen, die ihre Peiniger für sie in Sichtweite aufbewahrt hatten, um sie dann selbst zu essen.

Sie wurden so umgepolt, dass sie regelmäßig bei Tagesanbru­ch zu Bett gingen und nachts wach sein mussten. Sie wurden angebrüllt, geschlagen, gewürgt, terrorisie­rt und in mindestes einemFall sexuell missbrauch­t. Sie wurden, obwohl der Vater als Direktor einer Schule für Heim-Unterricht staatlich lizensiert war, so dumm gehal- ten, dass sie am Ende nicht einmal wussten, was ein Polizist ist, als sie am vergangene­n Sonntag befreit wurden.

Als der Bezirkssta­atsanwalt von Riverside County, Mike Hestrin, die Dimension der Qualen der 13 Kinder im Alter von 2 bis 29 Jahren skizzierte, die über Jahre von ihren Eltern David und Louise Turpin erst in Texas und später in einer Kleinstadt im US-Bundesstaa­t Kalifornie­n wie Tiere gefangen gehalten wurden, musste er Tränen unterdrück­en. „Manchmal stoßen wir in diesem Beruf auf völlige menschlich­e Verderbthe­it“, sagte Hestrin, „und genau damit haben wir es hier zu tun.

Wie es dazu kommen konnte, warum weder Nach- barn noch Verwandte oder die Behörden angeblich nie einen Verdacht schöpften, dass sich in dem unscheinba­ren Haus der Turpins in Perris südöstlich von Los Angeles ein Drama abspielt, ist nach wie vor unaufgeklä­rt.

„Wir brauchen Ihre Hilfe“, wandte sich Hestrin fast verzweifel­t an die Öffentlich­keit, „irgendjema­nd muss doch etwas gemerkt haben.“

Tagebücher

Hoffnungen setzen die Ermittler auf die Auswertung von Tagebücher­n der Opfer, unter denen eine 17-Jährige herausragt. Sie hatte die Flucht über zwei Jahre geplant, sagte der Staatsanwa­lt. Weil“alle Kinder in schlechter physischer und psychische­r Verfassung sind und in Krankenhäu­sern behandelt werden, „kann die Aufklärung Monate dauern“, sagten Beamte einer Lokalzeitu­ng.

Die tief religiösen HorrorElte­rn, 56 und 49 Jahre alt, die bei der Vorführung vor dem Haftrichte­r auf „unschuldig“plädierten, blieben unterdesse­n stumm. Kein Wort der Reue, kein Versuch zu erklären, was kaum erklärbar ist. Wegen Freiheitsb­eraubung, Folter, schwerer Misshandlu­ng und Gefährdung des Kindeswohl­s müssen sie im Falle einer Verurteilu­ng mit jeweils bis zu 94 Jahren Gefängnis rechnen. Der Richter schraubte ihre Kaution auf jeweils 12 Millionen Dollar hoch. Der nächste Gerichtste­rmin ist Ende Februar.

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