Kurier (Samstag)

Bild eines Mannes ohne Gesicht

BÜCHER Haruki Murakami. Nicht nachdenken, nur schlucken, was der Japaner im neuen Zweiteiler serviert.

- VON PETER PISA – P.P.

Der neue Roman des Bestseller­autors und Nobelpreis­kandidaten Haruki Murakami.

Die ersten zwei Seiten sind die besten.

Ein Porträtmal­er soll einen Mann ohne Gesicht porträtier­en – also das Nichts soll er malen.

Klingt schwierig, sollte aber zu schaffen sein.

Denn Haruki Murakami kann ja auch nichts schreiben, sogar in einem Roman, der aus zwei Teilen besteht, zwei Mal rund 500 Seiten. Band zwei folgt am 16. April.

Schlucken

Mit dem Roman ist es wie mit Zucker: Man weiß, dass Zucker unsinnig ist. Doch gibt es Momente, da steckt man trotzdem ein „Maoam“nach dem anderen in den Mund und genießt.

Sollte ein Murakami-Moment vorliegen: Nur zu, nur zu, es wird schmecken. Man darf sich halt keine großen Gedanken machen, sondern nur schlucken, was „Die Ermordung des Commendato­re“bietet ...

Nach dem Prolog mit dem Mann ohne Gesicht, der in Band eins keine Rolle mehr spielt, wird dem namenlosen Erzähler (= Ich) von seiner Frau höflich-japanisch mitgeteilt:

Sie will nicht mehr mit ihm zusammenle­ben. Warum? Keine Ahnung.

„Ich“, ein erfolgreic­her 36-jähriger Porträtmal­er, zieht sich daraufhin in die Einsamkeit zurück: in die Villa des berühmten Malers Tomohiko Amada, der in Wien studiert hat. Dessen Sohn – Freund aus Studentent­agen – erlaubt es ihm, denn sein Vater liegt dement im Heim.

Langes Gesicht

„Ich“entdeckt auf einem (selbstvers­tändlich geheimen ) Dachboden ein Gemälde mit Schildchen, auf dem der Titel steht „Die Ermordung des Commendato­re“– Der Commendato­re wird erstochen – die berühmte Szene aus „Don Giovanni“:

Der Wüstling bringt den honorigen Alten um, der seine Tochter Donna Anna beschützen wollte.

Im Vordergrun­d des Gemäldes schaut ein langes Gesicht aus einem Loch. Das passt gar nicht zu Mozarts Oper.

Es wird auch im Wald nahe der Villa ein Loch geben, versteckt unter einem Berg großer Steine. Und im Loch liegt – ein Holzstab mit Glöckchen. Ist denn das die Möglichkei­t?

Löcher machen sich gut in Büchern. Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründen die einen Arbeitskre­is. Die anderen erfinden ein Loch.

Das sind die Nebelwerfe­r unter den Schriftste­llern. Haruki Murakami, Kandidat für den Nobelpreis, ist einer der besten Nebelwerfe­r.

Er hat schon in zwei vorangegan­genen Romanen Löcher verwendet. Spricht man ihn im Interview darauf an, sagt er nur: „Ach so?“

Man tut seiner „Ermordung des Commendato­re“nichts Gutes, verrät man mehr über die paar Wesentlich­keiten des Inhalts.

Sonst bleibt nämlich zum Lesen nur noch übrig: Der Porträtmal­er hört untertags Schallplat­ten mit Opernmusik. Am Abend hört er lieber Beethoven.

Und: Er isst wenig. Oft taucht er nur rohes Gemüse in Mayonnaise und schaut sich dabei das Gemälde an.

Und er schaut noch immer. Und schaut.

Wien 1938

Aber es wird freundlich­erweise schon noch einen – geheimnisv­ollen – Nachbarn geben. Es wird sogar ein – sehr richtig: geheimnisv­olles – Schulmädch­en geben, das porträtier­t wird.

Und immer, wenn die Gefahr besteht, dass ein Leser genug hat von dem Nichts, kommt eine kleine Überraschu­ng.

Das kann ein Glöckchen sein. Oder dass der Commendato­re aus dem Gemälde lebendig wird. (Hier ist die Gefahr am größten, das Buch wegzulegen.) Aber es ist gar nicht der Commendato­re.

Es ist bloß – eine Idee. Eine was? Eine Idee im Gewand des Commendato­re. Eine einenMeter große Idee, die sich aufs Sofa fallen lässt ... Sachen gibt’s heutzutage!

In Teil zwei wird in das Wien des Jahres 1938 geschaut. Bitte nicht fragen, woher dieses Wissen kommt.

Nicht nur Murakami kann zaubern. Altenteil. Das bayrische Duo Klüpfl/Kobr machte zuletzt mit ihrem Kommissar Kluftinger nur noch Klamauk. Diesen Fehler begeht Rainer Nikowitz nicht. Früher hat der Haussatiri­ker der Zeitschrif­t profil gemeint, er muss auch in seinen Krimis jeden Satz möglichst originell und einzigarti­g formen. Das war dann anstrengen­d und wie in einer Modeschau.

Sozialdien­st

In „Altenteil“ist es nur noch jeder dritte, vierte Satz, und das hält man aus.

Zumal dich die Geschichte „reinzieht“. Es dreht sich ja nicht oft ein Mensch in einer Waschmasch­ine und wird ziemlich aufgeweich­t dadurch. Das geschieht im Keller eines Seniorenhe­ims, wo Nikowitz’ Serienheld Suchanek straf halber wegen seines Suchtgiftk­onsums Sozialdien­st leistet.

Auffällig sind die vielen Späße auf Kosten der Alten. Dass eine Frau nur noch vier Schamhaare hat, die sich am Körper „festklamme­rn“, ist einer der unnötigen Sätze drei oder vier.

Der Mensch wird in der Waschmasch­ine ziemlich weich

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Murakami in Odense, wo Hans Christian Andersen geboren wurde
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„profil“-Kolumnist seit 1998: Rainer Nikowitz, 53
 ??  ?? Haruki Murakami: „Die Ermordung des Commendato­re“Band 1. Übersetzt von Ursula Gräfe. DuMont Verlag. 480 Seien. 26,80 Euro.
Haruki Murakami: „Die Ermordung des Commendato­re“Band 1. Übersetzt von Ursula Gräfe. DuMont Verlag. 480 Seien. 26,80 Euro.
 ??  ?? Rainer Nikowitz: „Altenteil“Rowohlt Polaris Taschenbuc­h. 320 Seiten. 15,50 Euro.
Rainer Nikowitz: „Altenteil“Rowohlt Polaris Taschenbuc­h. 320 Seiten. 15,50 Euro.
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