Kurier (Samstag)

Toter Rekrut: Schütze will gestolpert sein

Wien. Bei der Tatrekonst­ruktion im Fall eines getöteten Soldaten erinnert sich der 22-Jährige Ali Ü. erstmals

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Bei der Tatrekonst­ruktion in der Kaserne erinnerte sich der Verdächtig­e erstmals wieder

Die Zufahrt in die ehemaligen Erzherzog-Albrecht-Kaserne in der Wiener Vorgartens­traße wird Freitagvor­mittag gesperrt. Das vergittert­e Tor mit dunkelgrün­en Planen verhängt. Man will den 22-jährigen Ali Ü. vor den Blicken der Medien schützen. Der Bus der Justizwach­e fährt direkt vor den Container, in dem der 20-jährige Ismail M. durch einen Kopfschuss starb. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, steigt Ali Ü. aus. Drei Stunden lang wird er Ermittlern und Sachverstä­ndigen erklären, was am 9. Oktober des Vorjahres hier passiert ist.

Post-Shooting-Trauma

Am Freitagvor­mittag fand die Tatrekonst­ruktion im Wachcontai­ner beim Eingang der Kaserne statt. Ismail M. hatte am Tag des Unglücks mit Ali Ü. und einem Wachkomman­danten einen 24-Stunden-Dienst absolviert. Zum Zeitpunkt des Schusses – um 19.13 Uhr – soll sich der 20- Jährige im Wachcontai­ner ausgeruht haben. Rund 20 Personen zwängen sich am Freitag in den Container hinein. Und Ali Ü. erinnerte sich. Erstmals. Er sei mit der Waffe hineingega­ngen, habe sie entgegen der Vorschrift­en nicht am Eingang abgestellt. Dann sei er gestolpert, sagt er. Und dabei habe sich der Schuss aus der StG77 gelöst. „Schön langsam kommen die Erinnerung­sfetzen wieder. Aber er kann sich noch nicht an alles erinnern“, sagt sein Verteidige­r Manfred Arbacher-Stöger (Kanzlei Rifaat). Das liege am Post-Shooting-Trauma, das auch der psychiatri­sche Sachverstä­ndige bestätige. „Die Unfallvers­ion wurde mit der Tatortreko­nstruktion noch einmal unterstric­hen. Der Sachverstä­ndige ist auch sicher, dass es kein angesetzte­r Schuss war. Da war einige Entfernung dazwischen.“Doch nicht alle können die Version des Rek- ruten nachvollzi­ehen. „Das sind zu viele Zufälle“, meint Philipp Winkler (Kanzlei Rudolf Mayer), der die Familie des Opfers vertritt. „Erst muss eine Patrone in den Lauf, dann muss der Sicherungs­stift gedrückt werden. Dann wird – warum auch immer – die Waffe nicht beim Eingang in den Gewehrschr­ank gestellt, wie es Vorschrift ist. Und schließlic­h stolpert er auch noch und betätigt dabei den Abzug.“Zu viele Fragen seien offengebli­eben. „Hier passt einiges nicht.“

Kein Repetieren

Ein Detail konnte allerdings geklärt werden. Denn am 9. Oktober war auch ein weit- erer Soldat in dem Container. Der Zeuge ist sich sicher, dass er kein Repetieren gehört hat. Für Winkler ist das Nebensache. „Repetieren konnte er theoretisc­h auch schon vor der Tür.“Als der Schuss brach, stand der Zeuge mit dem Rücken zum Geschehen. Ein Stolpern konnte er somit nicht bestätigen.

Der Lokalaugen­schein in der Kaserne habe dem 22Jährigen sehr zugesetzt, sagt Arbacher-Stöger. „Ihm ging es sehr schlecht. Als er in den Container gekommen ist, hat es angefangen, ihn zu reißen. Er wollte nur noch hinaus.“

Ali Ü. bleibt vorerst in Untersuchu­ngshaft.

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Drei Stunden lang wurde der Tathergang im Container der Kaserne nachgestel­lt. Der Verdächtig­e Ali Ü. bleibt in U-Haft
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PRIVAT Ismail M. wurde durch einen Kopfschuss getötet

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