„Landbauer ist kein Einzelfall“
Marko Feingold: Zeitzeuge prangert Antisemitismus in der FPÖ an
Marko Feingold wird heuer 105 Jahre alt. 1913 in der heutigen Slowakei geboren, gilt er als der älteste Holocaust-Überlebende Österreichs. Mit seiner Frau Hanna tourt er seit Jahrzehnten durch Europa und hält Vorträge. „Das Niemals Vergessen darf kein Ende finden“, sagen die beiden. KURIER: Wie bewerten Sie die Affäre um den FPÖ-Politiker Udo Landbauer? Marko Feingold: Ich habe gehofft, dass wir diese Form von Antisemitismus schon längst überwunden haben. Erschreckend ist für mich, dass diese antisemitischen Texte im Jahr 1999 neuerlich gedruckt und verbreitet wurden. Jetzt ist Landbauer ja kein Einzelfall, der Antisemitismus ist nach wie vor ein großes Problem. Haben Sie das Gefühl, dass die Problematik generell wieder größer wird?
Der Antisemitismus hat leider noch immer seinen Stammsitz in den christlichen Familien. Deswegen habe ich mich auch an die Bischöfe gewandt. Ich hoffe, dass die Aufklärung nun von Oben nach Unten getragen wird. Der Antisemitismus kann nicht verschwinden, er wird in kleinen Mengen der Bevölkerung immer wieder vorgeführt. So wie sich in jedem Wassertropfen auch ein wenig Kalk versteckt, und dieses Wenige doch in vielen Jahren zu sehr großen Stalaktiten und Stalagniten heranwächst, genauso verhält es sich auch mit dem Antisemitismus. Viele antisemitische und rassistische Vorfälle tauchen immer wieder im Umfeld der FPÖ auf. Die Partei trägt jetzt Regierungsverantwortung. Finden Sie es einen Fehler, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP die Strache-FPÖ in die Regierung geholt hat?
Antisemitische Vorfälle tauchen in allen Parteien auf, in der FPÖ vielleicht häufiger, und dort werden sie auch breitgetreten, während man ihn zum Beispiel bei anderen Parteien so kaschiert, dass es ,nicht so gemeint war’. Wenn Herr Strache wirklich ein Staatsmann sein will, so muss er solche Personen wie Udo Landbauer aus der Partei ausschließen. Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) in Wien hat sich dafür ausgesprochen, keinen Kontakt mit der FPÖ zu halten, finden Sie das richtig?
Da bin ich nicht ganz der Ansicht von der IKG, denn ich habe mit FPÖ-Anhängern und Politikern gute Gespräche geführt. Und es gab für die jüdischen Gemeinden im Jahr 2000 (schwarz-blaue Koalition unter Schüssel und Haider) auch positive Entscheidungen, wie etwa das Restitutionsgesetz oder Geld für die Pflege von jüdischen Friedhöfen. Sind Sie der Meinung, dass die handelnde Politik aktuell genug gegen den grassierenden Antisemitismus unternimmt?
Nein, die Politik hatte nie im vollen Ausmaß reagiert, wie es notwendig wäre. Der Fehler ist schon 1945 passiert. Man hat zu sehr Rücksicht genommen auf Väter, Großväter, Onkeln und Verwandte, und deshalb ist damals fast niemandem etwas passiert, auch belastete Beamte wurden wieder in ihre Ämter eingesetzt. 2018 ist ein Gedenkjahr, vor 80 Jahren kam es zum so genannten Anschluss an Nazideutschland. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Jahr?
Das war kein Überfall, sondern ein Willkommen und Liebkosen deutscher Soldaten. Für mich war damals jede Uniform lebensbedrohend. Das Jahr 1938 bedeutete für mich Verhaftung, Gestapo-Verhör und Konzentrationslager. Sie treten nach wie vor mit knapp 105 Jahren als Mahner auf und halten Vorträge. Was planen Sie noch in diesem Jahr?
Ich erzähle nur Selbsterlebtes. Das „Niemals vergessen“darf kein Ende finden. Und ich fahre auch in diesem Jahr wieder mit rund 700 Schülern nach Auschwitz, um dort Vorträge zu halten.