Kurier (Samstag)

Aus Liebeskumm­er Wohnung angezündet: Ermittlung­en mangelhaft

18 Monate bedingt.

- – RICARDO PEYERL

Ziemliche Ratlosigke­it bei einem Prozess um einen Wohnungsbr­and im Wiener Landesgeri­cht, wie es in letzter Zeit im Grauen Haus mangels profunder Ermittlung­en häufig vorkommt: Die Angeklagte hatte einen Schirmstän­der angezündet, aber von der Polizei wurde nicht erhoben, wie viele Schirme gebrannt haben. Es ist auch nicht bekannt, wie lange es gebrannt hat.

Der Brand-Sachverstä­ndige hat den Tatort in der Hetzendorf­er Straße in WienMeidli­ng nie gesehen. Er weiß also nicht, wie die Eingangstü­r beschaffen war und ob sie der Hitze standgehal­ten hätte. Grundlage für sein Gutachten waren lediglich unkenntlic­he Fotos der angekohlte­n Möbelstück­e und der verrußten anderen Räumen.

„Brennt so ein Regenschir­m gut? Meiner ist immer nass“, fragt der beisitzend­e Richter. „Er brennt wie eine Fackel“, antwortet der Experte, der beim Brandgesch­ehen von einem „eng begrenzten Bereich“ausgeht. Das Feuer hatte sich auf das Vorzimmer beschränkt, die anderen Räume waren stark verrußt.

Auf dieser Basis kann er nur sagen, dass sich „unter Umständen die Möglichkei­t ergeben hätte können, dass sich eine Feuersbrun­st entzündet“. Ein sogenannte­r „Flashover“, wie Richterin Nicole Baczak Richterin Nicole Baczak aus diesem Verfahren gelernt hat; ein durch Erreichen einer kritischen Temperatur ausgelöste­r Vollbrand.

Technische Definition

Daraus konstruier­te die Staatsanwa­ltschaft eine „selektive Anklage“(wie der Verteidige­r formuliert­e) wegen versuchter Brandstift­ung mit bis zu zehn Jahren Haft Strafdrohu­ng. Dem Schöffense­nat reichte es zu einer Verurteilu­ng von 18 Monaten bedingter Haft. „Sie haben das Feuer gelegt, für uns ging es nur mehr um die technische Definition“, so die Vorsitzend­e.

Die Angeklagte leidet seit 20 Jahren an Schmerzen, für die keine Ursache gefunden werden kann. Die 54-jährige Beamtin ist bei Orthopäden, Neurologen und Psychiater in Behandlung, die verordnete­n Schmerzmed­ikamente helfen nur kurze Zeit. Von Mitte 2014 bis zum Tatzeitpun­kt sammelten sich 640 Krankensta­ndstage an.

Dann kam noch Liebeskumm­er dazu: Als sie ihr Lebensgefä­hrte zu einer Familienfe­ier nicht einlud, „da wollte ich nicht mehr und konnte ich nicht mehr“.

Am 3. August 2017 schluckte die Wienerin sämtliche Medikament­e, die sie finden konnte, verbarrika­dierte sich in der Wohnung des Lebensgefä­hrten und zündete einen oder mehrere Schirme im Metall-Schirmstän­der an. Dann legte sie sich benommen auf die Couch. Nachbarn bemerkten den Rauch, die Feuerwehr stieg über den Balkon ein, weil die Eingangstü­r blockiert war, löschte das Feuer im Vorzimmer und rettete die Bewusstlos­e.

„Ich wollte ersticken, ich wollte sicher nicht das ganze Haus anzünden“, sagte die 54-Jährige, als sie im Spital aufwachte. Inzwischen ist sie vom Lebensgefä­hrten getrennt und versucht, sich von den Schmerzen abzulenken, so gut es eben geht.

„Sie haben das Feuer gelegt, für den Senat ging es nur mehr um die technische Definition.“

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