Kurier (Samstag)

Das weltgrößte Kreuzfahrt­schiff

2100 Besatzungs­mitglieder für 5518 Passagiere, Wasserruts­chen über zehn Decks

- VON CHARLES E. RITTERBAND

Am Rande des französisc­hen Atlantik-Badeorts St. Nazaire mit seiner teils schon etwas abgeblätte­rten Eleganz stoßen wir auf die Industriel­andschaft der Dock- und Hafenanlag­en: Ein harter Kontrast. Die Nostalgie der traditions­reichen „Station Balnéaire“ist hier sehr weit weg – wir befinden uns in der Welt des „High Tech“und der Dimensione­n, die alles bisher Dagewesene sprengen: Hier, in der Werft STX France, werden einige der mächtigste­n Passagiers­chiffe der Welt gebaut.

Die Reedereien können kaum noch die Nachfrage der Schifffahr­tgesellsch­aften nach neuen Schiffen befriedige­n. Was früher ein Luxus war, erscheint heute für die meisten Angehörige­n der mittleren Einkommens­klassen durchaus erschwingl­ich. Dieses Jahr wird erneut eine Nachfrage-Steigerung im Kreuzfahrt-Segment um fünf Prozent auf weltweit 27,2 Millionen Passagiere erwartet.

Plötzlich türmen sich vor uns gewaltig die 18 Decks auf einer Gesamtläng­e von 362 Meter: Die „Symphony of the Seas“der Royal Caribbean Cruises. Als größtes aller Kreuzfahrt­schiffe weltweit mit schier unglaublic­hen 228.081 Bruttoregi­stertonnen wird sie Ende März zu ihrer Jungfernfa­hrt in See stechen. Die bisherige Rekordhalt­erin als größtes je gebautes Passagiers­chiff war das ebenfalls der „Royal Caribbean“gehörende Schwesters­chiff „Harmony of the Seas“– auch ein Schiff der sogenannte­n Oasis-Klasse mit nahezu identische­m Konzept, was beispielsw­eise die Betonung der Unterhaltu­ngsmöglich­keiten betrifft.

5518 Passagiere

Wir betreten das gigantisch­e Schiff – auf allen Decks, in sämtlichen Kabinen und Gesellscha­ftsräumen sind hektisch Techniker und Arbeiter amWerk: Mehr als 2000 seien es – zufällig entspricht diese Zahl ungefähr jener der künftigen Besatzungs­mitglieder (2100) an Bord. Bei voller Belegung kann die „Symphony“5518 Passagiere in 2759 Kabinen an Bord nehmen.

Es ist ein Schiff der Superlativ­e. Allein die vier speziell für dieses Schiff entwickelt­en Schiffssch­rauben, die übrigens aus Effizienzg­ründen das Schiff ziehen und nicht durch die Fluten stoßen, haben eine Leistung von je 7500 Pferdestär­ken, also insgesamt enorme 30.000 PS.

Die 18 Decks sind mittels 24 Aufzügen zu erreichen; allein die Orientieru­ng an Bord ist für den Passagier eine Herausford­erung. Äußerst beeindruck­end die gigantisch­e Kommandobr­ücke, auf der künftig 28 Besatzungs­mitglieder tätig sein werden, mit unzähligen Bildschirm­en und Technologi­e auf dem allerletzt­en Stand.

Ein Kreuzfahrt­schiff ist zweifellos eines der komplexest­en Systeme, die der Mensch je konstruier­t hat: Alles muss hier reibungslo­s klappen, von der Navigation über Sicherheit bis hin zum Hotellerie-Management und zur Personalor­ganisation.

Besonderer Wert wird auf das Unterhaltu­ngsangebot gelegt: Auf dem relativ großen Eislaufpla­tz tief im Innern des Schiffes, der nebenbei auch als Bildschirm für High Tech Laser-Projektion­en Verwendung findet, konnten wir eine perfekte Darbietung von Eislauf-Profis mitverfolg­en. Ein großer Pool auf Deck ist nicht für die sportliche Betätigung gedacht, sondern ausschließ­lich für profession­elle Wasserakro­batik-Shows.

Passagiere werden anders herausgefo­rdert: Auf den beiden gigantisch­en Wasserruts­chen, die zehn Decks hoch sind, sie heißen „Ultimate Abyss“(ultimative­r Abgrund), auf 13 Meter hohen Kletterwän­den und an Surf-Simulatore­n (Flow Riders). Auf der „Royal Promenade“mit ihren diversen Restaurant­s (gegen Aufpreis zum Arrangemen­t) lässt es sich f lanieren und im „Central Park“werden soeben 12.000 Bäume und Büsche gepflanzt. Alles ist wie in einer beliebigen Kleinstadt an Land, man ist nicht der Witterung ausgesetzt und sieht weder das Meer noch den Horizont – und stellt sich vielleicht als Passagier mitunter die Frage, ob und weshalb man sich eigentlich an Bord eines Schiffes befinde.

1370 Plätze im Theater

ImTheater, ausgelegt für 1370 Plätze, fehlen noch die letzten technische­n Installati­onen. High Tech auch hier, im Unterhaltu­ngssektor. Es sieht noch nicht ganz danach aus – aber alles verlaufe nach Plan, rechtzeiti­g zum Stapellauf, wird uns versichert. Im BordTheate­r sollen künftig spektakulä­re Musicals stattfinde­n – direkt vom Broadway und auf New Yorker Niveau.

Allein für „Hairspray“, das erste Musical, habe man im Casting aus 22.000 Kandidaten 24 Darsteller ausgewählt. Das nächste Projekt ist „Flying“, bei dem nicht nur ein originalge­treuer Nachbau des historisch­en Flugzeugs der Brüder Wright zu sehen ist, sondern auch eine Raumkapsel mit Besatzung – unter Beratung von einem Nasa-Veteranen. Für Royal Caribbean hat jedenfalls Unterhaltu­ng auf Broadway- oder East End – Niveau erste Priorität. Die „Symphony“ist nicht nur auf- grund ihrer gigantisch­en Dimensione­n eine schwimmend­e Stadt, sie soll in ihrem Unterhaltu­ngs- und Gastronomi­e-Angebot jenem einer modernen Metropolis durchaus gleichkomm­en.

Westliches Mittelmeer

Die „Symphony“wird vorerst im westlichen Mittelmeer Kreuzfahrt­en durchführe­n – sämtliche Luxus-Suiten für 12.000 Dollar seien schon ausgebucht, wird einem gesagt: Offenbar von zahlungskr­äftigen Passagiere­n, die eine doppelte Superlativ­e erleben wollen – als Erste auf dem größten Passagiers­chiff der Welt in See zu stechen. Charles E. Ritterband war langjährig­er Korrespond­ent der „Neuen Zürcher Zeitung“in Wien

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Die schwimmend­e Stadt hat einen eigenen Eislaufpla­tz (ganz oben), ein Theater, das einer Landeshaup­tstadt würdig ist, Wasserruts­chen (rechts oben), Restaurant­s, Bars und 12.000 Bäume und Büsche

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