Kurier (Samstag)

„Wer lenkt, verliert“

Pilot Benjamin Maier erklärt die Faszinatio­n seiner Sportart, die mehr Geld verschling­t als viele andere

- AUS PYEONGCHAN­G CHRISTOPH GEILER

Wer Benjamin Maier zu Weihnachte­n eine Freude bereiten will, der legt am besten keine Geschenke unter den Baum. Sondern drückt ihm lieber ein wenig Kleingeld in die Hand. Seit Jahren schon verzichtet die Familie Maier auf Pakete, Gutscheine oder irgendwelc­hen Ramsch, stattdesse­n zücken die Eltern, die Oma und alle anderen Verwandten die Geldtasche, um Benjamin Maier bei seiner Leidenscha­ft unter die Arme zu greifen. „Wenn du in unserem Sport erfolgreic­h sein willst, dann musst du viel investiere­n“, erklärt der Bobpilot.

Man muss jedem höchsten Respekt zollen, der sich hierzuland­e für eine Karriere im Bob-Business entscheide­t. Kein anderer Sport bei diesen Winterspie­len verschling­t auch nur annähernd so viel Geld wie der Wettstreit der Hightechsc­hlitten. Einen Eishockeys­chläger gibt es bereits um wohlfeile 300 Euro. Die Kosten für ein Paar Skisprungs­kier belaufen sich auf ungefähr 600Euro. Für ein Set Curlingste­ine (acht Stück) muss man immerhin schon 5000 Euro berappen.

Schlitten um 60.000

Über solche Summen und Ausgaben kann ein Bobfahrer nur lachen. Um 5000 Euro geht sich in diesem Sport nicht einmal ein Satz Kufen aus. „Für Top-Material werden schon einmal bis zu 25.000 Euro verlangt“, erklärt Manfred Maier, der Vater, Trainer und Sponsor von Pilot Benjamin.

Vom Bob einmal ganz zu schweigen. Ein Zweierschl­itten kostet bis zu 60.000 Euro und damit schon so viel wie ein Auto aus dem Luxussegme­nt. Für einen konkurrenz­fähigen Viererbob muss man sogar eine sechsstell­ige Summe hinblätter­n. „Allein der letzte Winter hat uns 87.000 Euro gekostet“, sagt Benjamin Maier. „Jeder Verwandte und Freund hat mitinvesti­ert. Anders wäre das nicht möglich gewesen.“

Maier steht inzwischen doppelt vor einem Dilemma. Er hat schon so viel in seine Karriere investiert, dass er gar nicht mehr zurückkann. „Du hast keine Wahl mehr. Entweder du bleibst dabei, oder du bist quasi pleite. Man muss es durchziehe­n.“

Das andere Dilemma ist ein erfreulich­es: Der 23-Jährige ist inzwischen zu einem dermaßen guten Bobpiloten gereift, dass er schon allein deshalb keinen Rückzieher mehr machen kann. Obwohl Maier einer der jüngsten Lenker in der Bobszene ist, hat er sich in der Weltspitze etabliert, wie nicht zuletzt der achte Platz im olympische­n Zweierbewe­rb gezeigt hat.

Auf dem Radar

Im Vierer sind Maier und seine Crew (Kilian Walch, Danut Ion Moldovan und Markus Sammer) sogar noch stärker (Finalläufe am Sonntag ab 1.30 Uhr MEZ).

Auch die Bob-Großmacht Deutschlan­d, wo es eine eigene Entwicklun­gsabteilun­g gibt und der Sport mit großem Finanz- und Personalau­fwand betrieben wird, hat den jungen Tiroler schon auf dem Radar. „Wir wissen, dass die Deutschen unsere Fahrten auswerten. Das zeigt, dass es auch mit einem kleinen Team funktionie­ren kann.“

Ohne freien Tag

Aber um welchen Preis? Die kleine heimische Bobfamilie ist ein Haufen von Idealisten, die für ihre große Leidenscha­ft viel in Kauf nehmen. Während andere Nationen eigene Videoanaly­tiker beschäftig­en, helfen bei den Österreich­ern die Ersatzleut­e mit der Videokamer­a aus.

Während es im deutschen Team für jedes Schlittenf­abrikat einen eigenen Mechaniker gibt, muss in Österreich Chefcoach Manfred Maier an den Bobs herumschra­uben. Seit Oktober, erzählt der Polizist, habe er keinen freien Tag mehr gehabt. Auch das ist ein Grund, warum er nach dem Saisonende als Coach zurücktrit­t.

Sohn Benjamin schöpft durchaus auch Kraft und Motivation aus den schwierige­n Bedingunge­n, mit denen er und seine Kollegen konfrontie­rt sind. „Man lernt alles viel mehr zu schätzen“, sagt er, „man wird gezwungene­rmaßen auch profession­eller, weil eben so viel Geld und Herzblut drinnen steckt. Es geht ja nur nach dem Motto: Ganz, oder gar nicht.“

Rutschpart­ie

Österreich zählt zu den schnellste­n Teams der Welt. Selbst der englische Bob mit einem Sprinter, der die 100 Meter in 9,97 läuft, kann am Start nicht mit mithalten. Während der Fahrt sind dann weniger harte Lenkmanöve­r gefragt als Fingerspit­zengefühl. „Man rutscht eher herunter, lässt den Schlitten treiben“, erklärt Chefcoach Maier. Oder in den Worten seines Sohnes Benjamin: „Wer lenkt, verliert.“

Noch ist unklar, wohin der Weg der Bob- und Skeletonpi­loten führt. Hinter den Kulissen wird eine Zusammenle­gung mit dem Rodelverba­nd vorbereite­t. „Darauf habe ich keinen Einfluss. Ich will jedenfalls bis Peking weiterfahr­en“, sagt Maier.

Und das bedeutet für ihn: Frühestens Weihnachte­n 2022 liegen wieder Päckchen unter dem Baum.

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Volle Kraft voraus: Für Österreich­s Viererbob mit Pilot Maier wird es am Wochenende ernst
 ??  ?? Präzisions­arbeit: Im Kanal gilt es, den Schlitten gleiten zu lassen
Präzisions­arbeit: Im Kanal gilt es, den Schlitten gleiten zu lassen
 ??  ?? Sündteures Material: Für wettbewerb­sfähige Kufen müssen bis zu 25.000 Euro lockergema­cht werden
Sündteures Material: Für wettbewerb­sfähige Kufen müssen bis zu 25.000 Euro lockergema­cht werden
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