Kurier (Samstag)

Rekord-Häftling winkt die Freiheit

Raubmörder, Ausbrecher und Geiselnehm­er auf Probe-Ausgang zum Pizzaessen in Graz

- VON RICARDO PEYERL

Aus der Sicht des RekordHäft­lings nennt es der stellvertr­etende Leiter der Justizanst­alt Graz-Karlau, Gerhard Derler, ein „Licht am Ende des Tunnels.“In diesem Tunnel sitzt der Raubmörder, Häfenausbr­echer und Geiselnehm­er Juan Carlos Chmelir seit 48 Jahren, die letzten 40 Jahre durchgehen­d. Jetzt hat der „längstdien­ende“Häftling Österreich­s erstmals eine echte Chance, entlassen zu werden.

Der 68-Jährige, der sich selbst als „Gefängnis-Fossil“bezeichnet und bisher als paranoider „Hochrisiko-Täter“eingestuft worden war, durfte kürzlich erstmals die Luft der Freiheit atmen. Gemeinsam mit einem Justizwach­ebeamten in Zivil gab es Ausgänge nach Graz ins Kaffeehaus und zum Pizzaessen. Die Lockerunge­n im Häfenallta­g dienen zur Erprobung seines Verhaltens in Freiheit, wie das von Gutachtern vorgeschla­gen wurde, und sind Stationen auf dem Weg zur vorzeitige­n bedingten Entlassung.

Im Schnitt 21 Jahre

Mehr als 600 Mörder wurden in den vergangene­n 17 Jahren bedingt aus der Straf haft entlassen, viele von ihnen aus lebenslang­em Freiheitse­ntzug. Nach frühestens 15 Jahren können zur Höchststra­fe Verurteilt­e auf Bewährung entlassen werden. Jeder Dritte stirbt hinter Gittern, im Schnitt dauert Lebenslang 21 Jahre. Laut dem ehemaligen Gefängnisc­hef undlangjäh­ri- gen Leiter der Strafvollz­ugsakademi­e, Wolfgang Gratz, wirkt die Aussicht auf bedingte Entlassung als Motivation zu Deliktaufa­rbeitung und Teilnahme an Therapien. Hätten Gefangene absolut keine Chance, jemals wieder in Freiheit zu kommen, wäre die Gewaltbere­itschaft im Gefängnis nicht mehr beherrschb­ar und der Zweck des Strafvollz­uges – Resozialis­ierung – zunichte gemacht.

Juan Carlos Chmelir (damals hieß er noch Bresofsky) verbrachte Kindheit und Ju- gend in Heimen, wo er mehrfach missbrauch­t wurde, und im Gefängnis. Er sei „innerlich erheblich erstickt“, sagt Chmelir über diese Zeit. Mit 29 Jahren fährt er lebenslang ins Gefängnis ein, nachdem er einen Postbeamte­n erschossen hat.

Nach zehn Jahren in den Justizanst­alten Garsten und Karlau bricht Chmelir aus, nimmt die Frau eines steirische­n Regierungs­beamten als Geisel, vergewalti­gt die fünffache Mutter und wird zum meist gesuchten Verbrecher Österreich­s, zum „Staatsfein­d Nr. 1“. Nach zwölf Tagen endet die Flucht, zum Lebenslang kommen noch weitere 18 Jahre Haft hinzu.

Amtshaftun­gsprozess

Chmelir nutzt die Zeit im Gefängnis dafür, auf die prekären Haftbeding­ungen aufmerksam zu machen. Er führt gegen die Justiz ein Amtshaftun­gsverfahre­n, weil man ihn „Jahrzehnte­lang nur billigst verwaltet weggelegt“habe, statt mit ihm „Alltagsbew­ältigung nach der Haft“zu trainieren – und verliert es. Von Schuldeins­icht bezüglich seiner Verbrechen ist zunächst wenig zu merken, Chmelir behauptet, die sexuellen Aktivitäte­n mit seiner Geisel hätten im Einvernehm­en stattgefun­den. Die Frau widerspric­ht vehement, hält aber in einem Brief ans Gericht fest, dass sie keinen Groll mehr hegt und keine Einwände gegen eine Entlassung ihres Geiselnehm­ers hätte.

Inzwischen attestiere­n Gutachter ein Abklingen der Persönlich­keitsstöru­ng und eine positive Entwicklun­g. Demnächst darf Chmelir mit seiner Partnerin mehrere Stunden in der Grazer Innenstadt verbringen, zunächst in Begleitung eines Sozialarbe­iters, dann auch ohne Aufsicht.

Das Tor zur Freiheit hat sich ein Stück geöffnet.

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Rekord-Häftling Chmelir in der Justizanst­alt Graz-Karlau, die ihn jetzt Schritt für Schritt auf die bedingte Entlassung vorbereite­t
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 ??  ?? Chmelir 1983 nach der Aktion auf dem Dach in Garsten
Chmelir 1983 nach der Aktion auf dem Dach in Garsten

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