Rekord-Häftling winkt die Freiheit
Raubmörder, Ausbrecher und Geiselnehmer auf Probe-Ausgang zum Pizzaessen in Graz
Aus der Sicht des RekordHäftlings nennt es der stellvertretende Leiter der Justizanstalt Graz-Karlau, Gerhard Derler, ein „Licht am Ende des Tunnels.“In diesem Tunnel sitzt der Raubmörder, Häfenausbrecher und Geiselnehmer Juan Carlos Chmelir seit 48 Jahren, die letzten 40 Jahre durchgehend. Jetzt hat der „längstdienende“Häftling Österreichs erstmals eine echte Chance, entlassen zu werden.
Der 68-Jährige, der sich selbst als „Gefängnis-Fossil“bezeichnet und bisher als paranoider „Hochrisiko-Täter“eingestuft worden war, durfte kürzlich erstmals die Luft der Freiheit atmen. Gemeinsam mit einem Justizwachebeamten in Zivil gab es Ausgänge nach Graz ins Kaffeehaus und zum Pizzaessen. Die Lockerungen im Häfenalltag dienen zur Erprobung seines Verhaltens in Freiheit, wie das von Gutachtern vorgeschlagen wurde, und sind Stationen auf dem Weg zur vorzeitigen bedingten Entlassung.
Im Schnitt 21 Jahre
Mehr als 600 Mörder wurden in den vergangenen 17 Jahren bedingt aus der Straf haft entlassen, viele von ihnen aus lebenslangem Freiheitsentzug. Nach frühestens 15 Jahren können zur Höchststrafe Verurteilte auf Bewährung entlassen werden. Jeder Dritte stirbt hinter Gittern, im Schnitt dauert Lebenslang 21 Jahre. Laut dem ehemaligen Gefängnischef undlangjähri- gen Leiter der Strafvollzugsakademie, Wolfgang Gratz, wirkt die Aussicht auf bedingte Entlassung als Motivation zu Deliktaufarbeitung und Teilnahme an Therapien. Hätten Gefangene absolut keine Chance, jemals wieder in Freiheit zu kommen, wäre die Gewaltbereitschaft im Gefängnis nicht mehr beherrschbar und der Zweck des Strafvollzuges – Resozialisierung – zunichte gemacht.
Juan Carlos Chmelir (damals hieß er noch Bresofsky) verbrachte Kindheit und Ju- gend in Heimen, wo er mehrfach missbraucht wurde, und im Gefängnis. Er sei „innerlich erheblich erstickt“, sagt Chmelir über diese Zeit. Mit 29 Jahren fährt er lebenslang ins Gefängnis ein, nachdem er einen Postbeamten erschossen hat.
Nach zehn Jahren in den Justizanstalten Garsten und Karlau bricht Chmelir aus, nimmt die Frau eines steirischen Regierungsbeamten als Geisel, vergewaltigt die fünffache Mutter und wird zum meist gesuchten Verbrecher Österreichs, zum „Staatsfeind Nr. 1“. Nach zwölf Tagen endet die Flucht, zum Lebenslang kommen noch weitere 18 Jahre Haft hinzu.
Amtshaftungsprozess
Chmelir nutzt die Zeit im Gefängnis dafür, auf die prekären Haftbedingungen aufmerksam zu machen. Er führt gegen die Justiz ein Amtshaftungsverfahren, weil man ihn „Jahrzehntelang nur billigst verwaltet weggelegt“habe, statt mit ihm „Alltagsbewältigung nach der Haft“zu trainieren – und verliert es. Von Schuldeinsicht bezüglich seiner Verbrechen ist zunächst wenig zu merken, Chmelir behauptet, die sexuellen Aktivitäten mit seiner Geisel hätten im Einvernehmen stattgefunden. Die Frau widerspricht vehement, hält aber in einem Brief ans Gericht fest, dass sie keinen Groll mehr hegt und keine Einwände gegen eine Entlassung ihres Geiselnehmers hätte.
Inzwischen attestieren Gutachter ein Abklingen der Persönlichkeitsstörung und eine positive Entwicklung. Demnächst darf Chmelir mit seiner Partnerin mehrere Stunden in der Grazer Innenstadt verbringen, zunächst in Begleitung eines Sozialarbeiters, dann auch ohne Aufsicht.
Das Tor zur Freiheit hat sich ein Stück geöffnet.