„Ich bin mutiger geworden“
Eine Betroffene legte nach ihrer Trennung ein „Wandlungsjahr“ein. Wohin ihr Weg sie führte
Von einem Tag auf den anderen vom Ehemann verlassen, wegen einer anderen – das war ein Schock für Ulrike Stöhring, 55, Kunsttherapeutin und Kolumnistin aus Berlin. Sie vergleicht ihn mit einem „Flugzeugabsturz“. Doch dann schenkt sie sich ein „Wandlungsjahr“. Auf dieser Reise zu sich selbst besucht sie Frauen, die ähnliches erlebt haben. Sie verbringt den Jahreswechsel schweigend im Kloster, legt sich auf die Couch einer Hypnotherapeutin und gönnt sich eine Tantra-Massage. Am Ende ist sie, was sie vor der Trennung nicht war: eine glückliche Frau. Darüber schrieb sie nun ein Buch. Der KURIER traf die Autorin in Berlin. KURIER: Ist es anders, mit Anfang 50 verlassen zu werden? Ulrike Stöhring: Mit fünfzig verlassen zu werden, rührt nicht nur an biologische Fragen, die sich mit den Wechseljahren stellen, sondern schürt grundsätzliche Zweifel an der eigenen Wahrnehmung. Und natürlich an der eigenen Attraktivität. Hat das auch mit dem Gefühl eines Statusverlusts zu tun? Definieren sich Frauen nach wie vor über die Rolle als Ehefrau?
Das kommt auf die Frau und ihre persönliche Geschichte an. Ich hätte das bis vor kurzem für mich weit von mir gewiesen, kam mir aber mit der Zeit auf die Schliche. Obwohl ich nie eine Versorgungsehe geführt habe, immer wirtschaftlich selbstständig und genauso gut ausgebildet war wie meine jeweiligen Partner, habe ich es mir doch auf gewisse Weise immer ein bisschen gemütlich gemacht und gern die Rolle der „unter- stützenden Frau“gespielt. Das war keine gute Idee. Der andere ist dannvielleicht irgendwie dankbar, aber Dankbarkeit gehört nicht gerade zu den Gefühlen, die die Leidenschaft schüren. Und wenn sich das „Objekt der Fürsorge“zu neuen Wegen entschließt, steht man doof da. Ähnelt die Zeit nach so einer Trennung einem Trauerjahr?
Die Phasen sind vergleichbar, wenn auch nicht chronologisch ablaufend. Dem Schock folgt die Verleugnung, auf Wut folgt Trauer. Das alles kommt in Wellen und vermischt sich immer wieder in verwirrender Weise. Mal dachte ich, über den Berg zu sein, dann wieder, der Schmerz ginge nie vorbei. In der Phase des Schocks ist die gesundheitliche Gefährdung übrigens am größten. Gerade ältere Frauen sind Kandidatinnen für das Broken-HeartSyndrom oder denken an Suizid. Oder verwickeln sich durch Unaufmerksamkeit in Unfälle. Als ich ein paar Tage nach der Trennung ein Kind am Rande des Zebrastreifens einfach übersehen habe, wusste ich, dass ich in diesem Zustand nicht mehr Auto fahren darf. Glücklicherweise ist nichts passiert. Und bis endlich so etwas wie Akzeptanz und Frieden am Horizont auftauchten, brauchte es zirka zwei Jahre. Wie wichtig ist es, aus dem Scheitern zu lernen?
Schlicht lebensrettend. Inzwischen sehe ich die Geschehnisse für mich als Glücksfall an. Ich hätte nicht annähernd so viel über mich selbst erfahren, so viele beglückende Erlebnisse und Begegnungen gehabt, mich so entwickelt, wenn die Ehe, so wie sie vor dem Crash war, weiter bestanden hätte. Ich spreche auch nicht mehr vom Scheitern, im Gegenteil. Ich habe mein Frauenbild verändert und bin mir selber auf die Schliche gekommen. Ich bin mutiger, ich bin bewusster, ich bin zärtlicher, gelassener. Ich lasse mich weniger von äußeren Umständen beeindrucken und bin mir bewusst, dass fast nichts ist, wie es zunächst scheint. Niemand ist permanent happy. Aber glücksfähiger bin ich auf jeden Fall geworden. Was hat beim Verarbeiten der Trennung am besten geholfen?
Es gibt eine Zeile in einem Song der Band „Element of Crime“: „...ein Dosenfisch wirft sich lachend ins offene Meer.“Ich war gezwungen, mich um mich selbst zu kümmern, und zwar komplett. Finanzen, Sexualität, Alltag, Feste, neue Kontakte – zunächst war das alles eine Zumutung und machte mir Angst. Aber Zumutung ist ein wunderbares Wort dafür. Ich fasste Mut, denn den brauchte ich jetzt. Am meisten hat mich weiter gebracht, dass ich bewusst Dinge getan habe, die mich vorher ängstigten. Allein zu reisen, an unbekannte Orte, neue Menschen, ihr Leben, ihr Glück und Schmerz zu sehen, haben mich verändert. Nicht zuletzt, auch das ist ja eine Binse, die bewusste Beschäftigung mit mir selbst. Was raten Sie frisch getrennten Frauen nun?
Da zitiere ich mich am besten selbst: Macht Euch auf! Kauft Euch frische Wanderkarten! Dankt Eurem Körper. Hört auf, der Sicherheit zu dienen, das füttert nur die Angst. Macht keine Diäten, sondern was Euch Spaß macht! Bettelt nicht auf Online-Börsen um Liebe, sondern lächelt Fremde an! Und, unbedingt, Euch selbst.