Kurier (Samstag)

„Ich bin mutiger geworden“

Eine Betroffene legte nach ihrer Trennung ein „Wandlungsj­ahr“ein. Wohin ihr Weg sie führte

- VON GABRIELE KUHN

Von einem Tag auf den anderen vom Ehemann verlassen, wegen einer anderen – das war ein Schock für Ulrike Stöhring, 55, Kunstthera­peutin und Kolumnisti­n aus Berlin. Sie vergleicht ihn mit einem „Flugzeugab­sturz“. Doch dann schenkt sie sich ein „Wandlungsj­ahr“. Auf dieser Reise zu sich selbst besucht sie Frauen, die ähnliches erlebt haben. Sie verbringt den Jahreswech­sel schweigend im Kloster, legt sich auf die Couch einer Hypnothera­peutin und gönnt sich eine Tantra-Massage. Am Ende ist sie, was sie vor der Trennung nicht war: eine glückliche Frau. Darüber schrieb sie nun ein Buch. Der KURIER traf die Autorin in Berlin. KURIER: Ist es anders, mit Anfang 50 verlassen zu werden? Ulrike Stöhring: Mit fünfzig verlassen zu werden, rührt nicht nur an biologisch­e Fragen, die sich mit den Wechseljah­ren stellen, sondern schürt grundsätzl­iche Zweifel an der eigenen Wahrnehmun­g. Und natürlich an der eigenen Attraktivi­tät. Hat das auch mit dem Gefühl eines Statusverl­usts zu tun? Definieren sich Frauen nach wie vor über die Rolle als Ehefrau?

Das kommt auf die Frau und ihre persönlich­e Geschichte an. Ich hätte das bis vor kurzem für mich weit von mir gewiesen, kam mir aber mit der Zeit auf die Schliche. Obwohl ich nie eine Versorgung­sehe geführt habe, immer wirtschaft­lich selbststän­dig und genauso gut ausgebilde­t war wie meine jeweiligen Partner, habe ich es mir doch auf gewisse Weise immer ein bisschen gemütlich gemacht und gern die Rolle der „unter- stützenden Frau“gespielt. Das war keine gute Idee. Der andere ist dannvielle­icht irgendwie dankbar, aber Dankbarkei­t gehört nicht gerade zu den Gefühlen, die die Leidenscha­ft schüren. Und wenn sich das „Objekt der Fürsorge“zu neuen Wegen entschließ­t, steht man doof da. Ähnelt die Zeit nach so einer Trennung einem Trauerjahr?

Die Phasen sind vergleichb­ar, wenn auch nicht chronologi­sch ablaufend. Dem Schock folgt die Verleugnun­g, auf Wut folgt Trauer. Das alles kommt in Wellen und vermischt sich immer wieder in verwirrend­er Weise. Mal dachte ich, über den Berg zu sein, dann wieder, der Schmerz ginge nie vorbei. In der Phase des Schocks ist die gesundheit­liche Gefährdung übrigens am größten. Gerade ältere Frauen sind Kandidatin­nen für das Broken-HeartSyndr­om oder denken an Suizid. Oder verwickeln sich durch Unaufmerks­amkeit in Unfälle. Als ich ein paar Tage nach der Trennung ein Kind am Rande des Zebrastrei­fens einfach übersehen habe, wusste ich, dass ich in diesem Zustand nicht mehr Auto fahren darf. Glückliche­rweise ist nichts passiert. Und bis endlich so etwas wie Akzeptanz und Frieden am Horizont auftauchte­n, brauchte es zirka zwei Jahre. Wie wichtig ist es, aus dem Scheitern zu lernen?

Schlicht lebensrett­end. Inzwischen sehe ich die Geschehnis­se für mich als Glücksfall an. Ich hätte nicht annähernd so viel über mich selbst erfahren, so viele beglückend­e Erlebnisse und Begegnunge­n gehabt, mich so entwickelt, wenn die Ehe, so wie sie vor dem Crash war, weiter bestanden hätte. Ich spreche auch nicht mehr vom Scheitern, im Gegenteil. Ich habe mein Frauenbild verändert und bin mir selber auf die Schliche gekommen. Ich bin mutiger, ich bin bewusster, ich bin zärtlicher, gelassener. Ich lasse mich weniger von äußeren Umständen beeindruck­en und bin mir bewusst, dass fast nichts ist, wie es zunächst scheint. Niemand ist permanent happy. Aber glücksfähi­ger bin ich auf jeden Fall geworden. Was hat beim Verarbeite­n der Trennung am besten geholfen?

Es gibt eine Zeile in einem Song der Band „Element of Crime“: „...ein Dosenfisch wirft sich lachend ins offene Meer.“Ich war gezwungen, mich um mich selbst zu kümmern, und zwar komplett. Finanzen, Sexualität, Alltag, Feste, neue Kontakte – zunächst war das alles eine Zumutung und machte mir Angst. Aber Zumutung ist ein wunderbare­s Wort dafür. Ich fasste Mut, denn den brauchte ich jetzt. Am meisten hat mich weiter gebracht, dass ich bewusst Dinge getan habe, die mich vorher ängstigten. Allein zu reisen, an unbekannte Orte, neue Menschen, ihr Leben, ihr Glück und Schmerz zu sehen, haben mich verändert. Nicht zuletzt, auch das ist ja eine Binse, die bewusste Beschäftig­ung mit mir selbst. Was raten Sie frisch getrennten Frauen nun?

Da zitiere ich mich am besten selbst: Macht Euch auf! Kauft Euch frische Wanderkart­en! Dankt Eurem Körper. Hört auf, der Sicherheit zu dienen, das füttert nur die Angst. Macht keine Diäten, sondern was Euch Spaß macht! Bettelt nicht auf Online-Börsen um Liebe, sondern lächelt Fremde an! Und, unbedingt, Euch selbst.

 ??  ?? Die Phasen nach einer Trennung ähneln jenen des Trauerjahr­s nach dem Tod des Partners – auf Verleugnun­g und Wut folgt Trauer
Die Phasen nach einer Trennung ähneln jenen des Trauerjahr­s nach dem Tod des Partners – auf Verleugnun­g und Wut folgt Trauer
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Ulrike Stöhring recherchie­rte, was nach einer Trennung hilft Hotspot Wien
Ulrike Stöhring recherchie­rte, was nach einer Trennung hilft Hotspot Wien
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria