Kurier (Samstag)

Genial auf Haupt- und Nebenstraß­en

Eine Retrospekt­ive in Prag zeigt das umfassende Werk mit einigen weniger bekannten Facetten

- VON MICHAEL HUBER

Was die Beschäftig­ung mit einem künstleris­chen Werk spannend macht, ist die Möglichkei­t, immer wieder neue Schubladen aufzumache­n: Der Blick auf Experiment­e, stilistisc­he Suchphasen, auch Sackgassen erfrischt den Blick auf das, was bekannt und „typisch“erscheint.

Die große Maria Lassnig (1919–2014) hätte viele Schubladen allerdings wohl versperrt gehalten und den Schlüssel verschluck­t: Werke der 1950er-Jahre etwa bezeichnet­e die ewig Selbstkrit­ische als „Provinzbil­der“, erzählt Peter Pakesch, Vorstand der Maria-Lassnig-Stiftung, die den Nachlass der Künstlerin betreut. Einige abstrakte Bilder von 1959/’60 wollte sie gar vernichtet haben, bevor Pakesch sie restaurier­en ließ. Zwei davon hängen nun in der Ausstellun­g, die bis 17. Juni in der Nationalga­lerie Prag zu sehen ist.

Lassnig on Tour

Im Kern ist es weitere Station jener Retrospekt­ive, die 2016 in der Tate Liverpool debütierte und seitdem Besucherin­nen und Besucher in Aalborg/DK, Essen/D und Warschau/PL mit dem Werk Lassnigs vertraut gemacht hat. Für die Prager Version – als „größte Retrospekt­ive außerhalb Österreich­s“beworben – hat Chefkurato­r Adam Budak noch einige Schubladen aufgemacht: So ist die Schau in dem außergewöh­nlichen, 1925–’28 erbauten Ausstellun­gspalais durch eine Präsentati­on von Lassnigs Filmen erweitert und mit selten gezeigten Bronzeskul­pturen ergänzt.

Überall blinkt dabei die Meistersch­aft der Künstlerin hervor, die Trends ihrer Zeit scheinbar mühelos und gierig wie ein Schwamm aufsog, adaptierte, entwickelt­e und sich zugleich nie mit dem Vollbracht­en zufriedeng­ab: Manche Ideen, die Lassnig erkundete und wieder verwarf, hätten anderen Künstlern schon für eine ganze Karriere gereicht.

Die im Wesentlich­en aus Beständen der Stiftung gespeiste Schau zeigt das Werk, entlang von Lassnigs Biografie geordnet, in großer Breite. Doch es gibt Mo- mente, in denen die Vielstimmi­gkeit verstummt, etwa vor dem „Selbstport­rät expressiv“von 1945, das wie eine Ikone zentral an einer weißen Wand gehängt wurde: Das scheinbar unvollende­te Bild sei, so Pakesch, eine „erste Kampfansag­e“und enthalte vieles, was Lassnigs späteres Werk bestimmen sollte.

Die Versuche, Körperzust­ände abzubilden, die Projektion von Empfindung­en auf Dinge und die Verschmelz­ung derart aufgeladen­er Objekte mit dem Menschlich­en führten bei der Malerin zu Ergebnisse­n, die in ihrem Einfallsre­ichtum und Witz, aber auch in ihrer malerische­n Ausführung immer wieder begeistern. Das Gemälde „Frühstück mit Ohr“von 1967 (Bild) ist so ein Highlight: Wie der Sammler und Galerist Helmut Klewan – auch Leihgeber der Schau – berichtet, wollte der Pianist Alfred Brendel dieses Bild einst haben, dochLassni­g war auch durch den damaligen Rekordprei­s von einer Million Schilling nicht zur Herausgabe zu bewegen.

Mit Leben durchtränk­t

Wie sehr die Künstlerin an Werken hing, lässt sich auch an den Bildern festmachen, in denen sie den Tod der geliebten Mutter verarbeite­te („Beweinung“, 1964; „Selbstport­rät mit Stab“, 1971): Die Intensität, mit der die Künstlerin mit der und durch die Malerei lebte, überwältig­t. Das letzte Werk der Schau, 2013 gemalt, erscheint wie eine Coverversi­on des Selbstport­räts von 1945, mit ähnlicher Entschloss­enheit im Blick, allein die Pinselhand scheint schlaff geworden zu sein.

Die Biografie ist aber nur eine der Möglichkei­ten, Lassnigs Werk aufzuschlü­sseln. 2019 wird der 100. Geburtstag der Künstlerin im Stedelijk Museum Amsterdam und in der Albertina begangen – man darf gespannt sein, welche Schubladen dann noch geöffnet werden. Die Reise nach Prag erfolgte auf Einladung der Maria-Lassnig-Stiftung.

 ??  ?? „Frühstück mit Ohr“, 1967: Das Bild mit Echos an Van Gogh und Monet lag Lassnig am Herzen
„Frühstück mit Ohr“, 1967: Das Bild mit Echos an Van Gogh und Monet lag Lassnig am Herzen
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria