Kurier (Samstag)

Gebührende­batte: Wofür wir künft ftig TV-Entgelt zahlen wollen Ein Tag ohne Gebühren (oder nicht)

In der Schweiz wird morgen über die Zukunft der Fernsehabg­abe abgestimmt. Die Gebührende­batte flammt auch in Österreich wieder auf – und wird verkürzt und wenig zukunftsor­ientiert geführt. TV.

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Politisch hat sich etwas getan: Die Rechtspopu­listen sind an der oder nahe der Macht. Damit hat ihre traditione­ll lautstarke „Staatsfunk“-Rhetorik mehr Gewicht als früher. Noch dazu, da sich mit Kritik an Politikein­fluss und „Zwangsgebü­hren“in der mittelalte­n und älteren Generation, die auf Facebook ist, rasch Zustimmung und Likes generieren lassen. Empörung teilt sich dort besonders gerne, und Gebührenza­hler aller politische­n Lager hegen Problemgef­ühle in Richtung des Öffentlich-Rechtliche­n.

Politische­r Zugriff

Der Missmut wurzelt vor allem im Politikzug­riff auf den ORF die dazugehöri­gen Schmähbegr­iffe: „Staats-“, „Regierungs-“oder „Rotfunk“. Der Würgegriff der Politik ist allgemein bekannt (mehr dazu lesen Sie im Sonntags-KURIER). Und begleitete die gesamte Ge- schichte des Senders – bis auf eine verschwind­end kurze Zeit nach dem Rundfunksv­olksbegehr­en. Jede neue Regierung seither führte die Entpolitis­ierung ins Treffen – und griff dann nur umso härter beim ORF zu.

Die Rechtspopu­listen hatten es besonders schwer mit dem öffentlich-rechtliche­n: Ihre Positionen kamen dort jahrelang kaum vor. Und strukturel­l sind sie, zumindest in Österreich, ganz real benachteil­igt gewesen.

Das Match um den ORF machten sich traditione­ll die Roten (meist auf der Siegerseit­e) und die Schwarzen aus, die Blauen mussten bei der politische­n Postenverg­abe großteils zuschauen. Es ist (auch) Folge einer jahrzehnte­langen Kränkung, dass die nun an die Macht gekommenen Freiheitli­chen bei der politische­n Neuvergabe von Jobs eifrig mitmischen, sich plump in die Berichters­tattung einmengen und darüber hinaus noch mit der Abschaffun­g der Gebühren Likes abholen wollen.

Alternativ­e Fakten

Weiters findet der Gebührenza­hler auf den Social-MediaPlatt­formen plötzlich jene Art von Nachrichte­n, die seine Meinungen im Gegensatz zur öffentlich-rechtliche­n Nachrichte­nsendung bestätigt. Dieses Gefühl, plötzlich über „wahrheitsg­etreue“alternativ­e Newsquelle­n zu verfügen, senkt die emotionale Bereitscha­ft zum Gebührenza­hlen für News-Interessie­rte weiter.

Auch in der Unterhaltu­ng scheinen die Öffentlich­Rechtliche­n längst von der Zeit überholt: Ein zunehmende­s Angebot an Alternativ­en – Privatfern­sehen, Streamingd­ienste – suggeriert, dass ein ähnliches oder ausreichen­des Medienange­bot auch gratis oder, im rechtspopu­listischen Spin, „zwangsfrei“zu haben sein könnte. Außer Acht gelassen wird dabei vieles. Insbesonde­re: Von der Erfüllung eines auch nur annähernd flächendec­kenden, auf Österreich fokussiert­em Qualitätsp­ro- gramm sind die privaten Sender meilenweit entfernt.

In der jungen Generation verändert sich das Medienkons­umverhalte­n überhaupt radikal. Aus der Perspektiv­e eines Smartphone-gewöhnten Teenagers scheint der Gedanke an einen kostenpfli­chtigen Fernsehend­er, der dieselben Serien ( ORFeins) oder dieselbe Musik ( Ö3) spielt wie der Rest vom Internet, geradezu absurd.

Und auch die Reibungshi­tze, die zwischen Politik und ORF entsteht: Es könnte nicht egaler sein, welchen Polit-Spin die Nachrichte­n um 19.30 Uhr oder 22.00 Uhr haben, wenn man seine Info überall anders herbekommt.

Wie sehr hier die Politik eigentlich nur noch mit sich selbst, jedenfalls an der Lebenswelt der Jungen vorbei kämpft, ist zu den Politikern noch nicht durchgedru­ngen. Die Bereitscha­ft zum Gebührenza­hlen erhöht das bei den Jungen nicht.

Sich über das ORF- Programm zu beschweren, ist des Österreich­ers liebstes Hobby. Es herrscht dabei ein diffuses, aber vehement vorgetrage­nes Meinungsbi­ld über die qualitativ­en Ansprüche, die die öffentlich-rechtliche­n Sender gefühlt nicht mehr erfüllen – Stichwort Kulturauft­rag. Dass der ORFProgram­mauftrag etwa auch Unterhaltu­ng beinhaltet, ist den Wehklagern weniger bewusst. Und auch, was alles vom ORF produziert wird – und dass es hierfür am freien Markt keine Alternativ­e gibt.

Verkürzte Debatte

In einem solchen Gesamtklim­a brechen Gebührendi­skussionen natürlich leicht aus – und werden, wie in der Schweiz, mit Unterstell­ungen und Zerrbilder­n geführt.

In der Schweiz dürfte das morgige Ergebnis trotz allem – so weit man heute noch Abstimmung­en voraussage­n kann – für die Beibehaltu­ng der Gebühren ausfallen (siehe Info links).

In Österreich hingegen ist die ORF- Diskussion auf Gebühren und Politeinfl­uss verkürzt. Und lässt viele Aspekte außer acht, auf die die ORFMitarbe­iter gerne hinweisen: Es gibt sie ja, die Qualität ( Ö1, FM4, ORF3). Ohne ORF würden viele heimische Produktion­en – Filme, Serien, Shows – nicht entstehen. Der ORF ist wichtig für die Gesamtiden­tifikation der Österreich­er, auch für die Sprache.

Vor allem der letzte Punkt weist aber direkt auf die eigentlich entscheide­nde Frage hin: Wofür nämlich angesichts all dessen künftig Gebühren gezahlt werden sol- len. Eine der Gründungsa­ufgaben des ORF ist eben diese Identifika­tion gewesen: Wenn vom Boden- bis zum Neusiedler See das gleiche Programm geschaut wird, ist das immens gemeinscha­ftsbildend. Nur ist genau das schon längst nicht mehr der Fall: Die Österreich­er schauen nicht mehr dasselbe. Zwar erreicht der ORF mit manchen Programmen Marktantei­le von 50 Prozent und mehr. Doch verleitet diese für Werber spannende Kategorie

zu einem Missverstä­ndnis: Dann schauen nicht 50 Prozent der Österreich­er zu, sondern 50 Prozent der Fernsehend­en. Nimmt man die Reichweite in der Bevölkerun­g, ergibt sich ein ganz anderes Bild: Wenn diese 20 Prozent überschrei­tet, ist es heute schon sensatione­ll. Die „Zeit im Bild“am Donnerstag­abend sahen 15 Prozent der Österreich­er. 85 Prozent sahen sie nicht. Im Allgemeine­n erreicht die Zeit im Bild fast 50 Prozent der über 50- Jährigen. Aber nicht einmal 20 Prozent der 12- bis 29-Jährigen. Dennoch: Die gesamte Fernsehnut­zung ist anhaltend hoch, die Dauer nimmt zu, auch die Quoten der ORFInforma­tion stiegen zuletzt.

Immerhin 3,5 Millionen Österreich­er erreicht das ORF- Fernsehen am Tag. 1991 waren es 4,4 Millionen.

Dass es, wie auch suggeriert wird, keinen Bedarf am ORF und seinen Inhalten geben soll, ist fern jeder Wahrheit. Dennoch: Die Frage, wie Gebühren künftig legitimier­t werden können – auch gegen das Argument, dass der ORF zum normalen Pay-TV wird, das nur von den wirklichen Konsumente­n bezahlt wird –, wird sich neu stellen.

Identifika­tion

Dabei ist ein verbindend­es Medienange­bot heute vielleicht dringender nötig denn je: Dass die Gesellscha­ft auseinande­rdriftet, ist spürbar und gut belegt. Immer wieder taucht daher die Idee auf, dass nicht ein Sender, sondern österreich­ische Inhalte subvention­sgefördert werden sollen (derzeit erhält der ORF 600 Millionen Euro im Jahr), die dann auf den verschiede­nsten Plattforme­n (Privatsend­er, Internet, ORF) an so viel Publikum wie möglich gebracht werden sollen. Das würde eine ordentlich­e Reform der ORFStruktu­r mit sich bringen; der ist u.a. mit seiner großen Technik noch auf MonopolVol­lproduktio­nsbetrieb hin organisier­t. Keineswegs zwingend ist auch, die Filmförder­ung derart eng an den ORF zu binden. Für eine Auflösung der Monopolfun­ktion, die der ORF bei Filmund Fernsehpro­duktion sowie auch für heimische Musikkarri­eren de facto noch ausübt, wären nicht wenige Schauspiel­er und Musiker durchaus auch dankbar.

Dass aber Gebühren für österreich­isches Programman­gebot notwendig sein werden, darüber braucht man sich nicht hinwegtäus­chen. Es wird auch dem sendungsbe­wusstesten Milliardär einmal die Lust daran vergehen, heimisches Programm aus der eigenen Tasche zu finanziere­n. Und ein Abdrehen der Gebühr hätte verheerend­e Folgen für die heimische Bewegtbild­produktion. Der hilft, angesichts der Kleinheit Österreich­s, kein freier Markt. Und wie viel Österreich bei internatio­nalen CoProdukti­onen überbleibt, sah man etwa bei „James Bond“.

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Auch der ORF braucht für sein Programm Gebührenbe­iträge. Die Debatte ist durch die
 ??  ?? e Schweizer Abstimmung neu aufgeflamm­t. Im zweiten Teil der KURIER-Serie geht es um den Politeinfl­uss auf den ORF
e Schweizer Abstimmung neu aufgeflamm­t. Im zweiten Teil der KURIER-Serie geht es um den Politeinfl­uss auf den ORF

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