Kurier (Samstag)

Die Jungen pfeifen auf die Politik

Bis zu 60 Prozent bleiben Wahl morgen fern. Rest votiert eher links oder populistis­ch

- AUS BOLOGNA IRENE MAYER-KILANI

„La Dotta“(die Gelehrte) und „La Rossa“(die Rote) – die Spitznamen passen gut zu Bologna. Die Hauptstadt der Emilia-Romagna beherbergt die älteste Universitä­t Europas. Die italienisc­he Stadt gilt als politisch rote Hochburg mit einer langjährig­en kommunisti­schen Vergangenh­eit. Seit 2011 regiert ein Bürgermeis­ter der Demokratis­chen Partei (PD). Rote und ockerfarbi­ge Häuser säumen die Bogengänge, die direkt in das Uni-Viertel rund um die Via Zamboni führen. Politische Manifeste und Graffiti zieren die Wände der antiken Palazzi. Eine Gruppe junger Marxisten verteilt Flyer. Sie werden nicht zur Wahl gehen, da sie sich in dem aktuellen politische­n System nicht wiederfind­en.

„Ganz schlimm“findet Politikwis­senschaft-Student Silvio Quast den Wahlkampf, „die Töne werden immer verrückter“. Der 26-Jährige hat beschlosse­n, am Sonntag auf ein „voto utile“zu setzen, also strategisc­h zu wählen, um Populisten wie Ex-Premier Berlusconi, LegaChef Salvini und Fünf-Sterne-Kandidat Di Maio zu verhindern. „Ich werde Emma Bonino wählen. Die finde ich sehr kompetent“, erklärt Silvio. Denn wie viele im linken Lager findet auch er Renzi mittlerwei­le unsympathi­sch.

Investitio­ns-Probleme

„Er hat gut angefangen, er war so eine Art Macron. Aber Renzi wurde Berlusconi immer ähnlicher.“Besonders Renzis Aufweichun­g des Kündigungs­schutzes und seine autoritäre Schulrefor­m sorgten für Kritik. Auch wurde noch nie so wenig in Bildung, Forschung und Universitä­ten investiert wie unter der letzten Regierung.

Die Ex-EU-Kommissari­n und Ex-Außenminis­terin Bonino kandidiert mit der „+Europa-Koalition“an der Seite von Renzis Demokratis­cher Partei. Sowohl die rechtsextr­eme Lega als auch die populistis­che Fünf Sterne-Bewegung mit ihrem unklaren Kurs bei Euro, EU und Immigratio­n sieht Bonino als Gefahr für die Demokratie. Bonino von der radikal-liberalen Partei ist eine glühende Verfechter­in Europas. Auch die linke Liste von Senatspräs­ident Pietro Grasso „Liberi e uguali“ist bei jenen beliebt, denen Renzis PD zu sehr nach rechts gerückt ist.

Laut Meinungsfo­rschern zählen die Millennial­s zur vergessene­n Gruppe in diesem Wahlkampf. Von den Jahrgängen 1999 und 2000, die erstmals wählen dürfen, gehen voraussich­tlich nur 40 Prozent zur Urne. Favorit da- bei dürfte landesweit Grillos Protestbew­egung Fünf Sterne sein, gefolgt von extrem linken oder extrem rechten Gruppierun­gen. Wahlentsch­eidend werden die Stimmen der Unentschie­denen sein. Nur Tage vor der Wahl hatten rund 40 Prozent der Italiener noch keine Entscheidu­ng getroffen.

Auch die 18-jährige Rachele Busino, die heuer maturiert und ihren Freund an der Uni Bologna besucht, schwankt noch. „Entweder ich wähle die Bewegung ,Potere al Popolo‘, deren Ansichten etwa bei Migration mir gefallen, oder die Fünf Sterne, das sind alles junge Leute, die noch keinen Schaden angerichte­t haben, wie Berlusconi zum Beispiel.“

Die linke Bewegung „Potere al Polpolo“wurdeerst vor vier Monaten ins Leben gerufen. Die Gründer ebenso wie die Chefin Viola Carofalo stammen aus der Autonomen-Szene Neapels. Sie bemühen sich um jene, die von der Krise am härtesten getroffen wurden: prekär Beschäftig­te, Alleinerzi­ehende und sozial Schwache.

„Schizophre­n“

Schauplatz­wechsel. Das Institut für Politikwis­senschafte­n in der Via Bersaglier­i: Roberto Cartocci beschäftig­t sich seit zwanzig Jahren intensiv mit der italienisc­hen Parteienla­ndschaft. „Italiener haben ein schizophre­nes Verhältnis zur Politik“, sagt Cartocci zum KURIER. „Sie erwarten sich sehr viel von der Politik, haben aber kein Vertrauen in die Politiker. Denn sie gehen davon aus, dass sich Politiker nur umihre eigenen Interessen kümmern.“Die Wähler lägen damit auch nicht falsch, so Cartocci, wenn mananGrill­o und Berlusconi denke – beide treffende Beispiele für den Prototyp des „Anti-Politikers“.

Die Wahlverspr­echen von beiden seien ein „einziger Lügenberg“. Wer sich ernsthaft mit Politik auseinande­rsetze, könne doch nicht die Zukunft des Landes in die Hände von einem „Haufen Dilettante­n“legen – eine Anspielung an Studienabb­recher Di Maio, der die FünfSterne-Truppe anführt. Oder einen Politiker ernst nehmen, der steuerfrei­es Hundefutte­r oder Gratis-Zahnprothe­sen verspricht. Die Idee geht auf Berlusconi zurück – im Falle eines Wahlsieges.

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Bologna, die „Rote Gelehrte“, aber gerade bei den jungen Wählern ist die Frustratio­n groß

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