Vom Trauma zum Triumph
Edith Eva Eger tanzte für Josef Mengele. Heute hilft die Psychologin (91) traumatisierten Menschen
Wenn sie lächelt, funkeln ihre Augen. Und auch, wenn Dr. Edith Eva Eger als eine der letzten Überlebenden des Holocaust in Interviews oder bei Vorträgen vom Grauen im Konzentrationslager Auschwitz erzählt, verschwindet dieses Strahlen nie. Trotz der Trauer, die in all diesen Erzählungen mitschwingt. Mit ihren 91Jahren sieht Eger, Freunde und Vertraute nennen sie „Edie“, immer noch fantastisch aus. Und nach wie vor gibt die bekannte Psychologin und Therapeutin mit Praxis in La Jolla, Kalifornien, anderen Menschen Kraft, indem sie ihnen den Weg zur Freiheit weist. Unter anderem berät sie das US-Militär bei der Behandlung von Soldaten mit posttraumatischem Belastungssyndrom.
Jetzt hat diese außergewöhnliche Frau ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel
„In Auschwitz konnte ich meine inneren Quellen und Ressourcen entdecken.“
Dr. Edith Eva Eger Holocaust-Überlebende „Ich bin hier, und alles ist jetzt. Warum wir uns jederzeit für die Freiheit entscheiden können“. Dieses Buch ist nicht nur eine bedrückende Erinnerung an die Shoa, sondern vor allem ein Dokument, das zeigt, wie sich ein Mensch vom „Konzentrationslager im Kopf“befreit und so über das ihm Widerfahrene siegt.
Für Philip Zimbardo, emeritierter Psychologieprofessor an der Stanford University, zeichnet es den „Weg vom Trauma zum Triumph“. Die renommierte US-Tageszeitung New York Times schrieb: „Ein wichtigeres Buch für die heutige Zeit kann man sich kaum vorstellen.“
Vergeben leben
Wir kontaktieren Dr. Eger per Mail, sie ist nach einem schweren Not-Eingriff im November 2017 noch rekonvaleszent. Auf ihrer FacebookFanseite werden aktuelle Fotos gepostet, darunter steht: „Dr. Edie dankt allen für die wunderbaren, ermutigenden Wünsche. Was folgt jetzt? Arbeit! Arbeit! Arbeit!“
Die Antworten auf unsere Fragen landen pünktlich in der Mailbox. Katie, ihre Assistentin schreibt: „Ich arbeite schon sehr viele Jahre für Dr. Eger und möchte Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass sie keine Abneigung gegen oder gar Hass auf Deutsche und Österreicher empfindet.“Offenbar ist ihr das wichtig, denn auch über den Verlag lässt Eger ausrichten, wie sie zu Deutschland steht, in das sie 1980 das erste Mal nach Kriegsende zurückgekehrt ist: „Die Rückkehr an den Schauplatz meines eigenen Traumas half mir, mich
Ob Erfahrungen wie diese ein Mitgrund waren, weshalb sie später Trauma-Expertin wurde?
„Auschwitz war mein Klassenzimmer, in dem ich meine inneren Quellen und Ressourcen entdecken konnte, wer ich bin. Diese Lektion ist Teil meiner professionellen Sitzungen mit Klienten. Auschwitz hat mir ermöglicht, jene Dinge zu entdecken, die ich heute bei meinen Patienten anwende. Ich zeige ihnen, wie sie die Antworten in ihrem Inneren finden. Die Abhängigkeit von Dingen, die im Außen passieren, kann depressiv machen. Wir müssen immer nach innen schauen“, sagt Eger.
Die Rolle Frankls
Die Therapeutin versteht sich als „weibliche Stimme Viktor Frankls“. Dessen weltberühmtes Buch „Und trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe überlebt das Konzentrationslager“, liest Eger Jahre nach ihrer Befreiung. Der österreichische Psychologe schildert darin seine Erlebnisse in deutschen Konzentrationslagern. Es ging ihmdarum, zu vermitteln, dass es selbst unter den unmenschlichsten Bedingungen möglich ist, den Sinn des Lebens zu sehen.
„Ich zitiere seine Töchter, die sagten, dass uns alles weggenommen werden kann – was mir ja passierte – , außer unsere Haltung und die Art und Weise, alles zu betrachten.“Frankl schrieb, dass jene Häftlinge eine bessere Chance hatten, zu überleben, wo es jemand gab, der auf sie wartet. Er selbst, zu dieser Zeit schon Arzt, klammerte sich an die innere Vorstellung, er würde künftig Vorlesungen über die Auswirkungen von Konzentrationslagern auf die Psyche halten. „Und ich, damals eine romantische Sechzehnjährige, stellte mir vor, dass ich morgen wieder meine erste Liebe Eric sehen würde, der mir morgen sagt, ich hätte schöne Augen und Hände. Dieses ,morgen’ wurde zu meinem innigsten Be- gleiter und Freund.“Eger und Frankl verband schließlich eine lange Freundschaft, ihr gemeinsames Anliegen war eine „Psychologie der Freiheit“.
Trauma ist aus Egers Sicht kein Schicksal, das das Leben eines Menschen für immer zerstören muss: „Ich werde nie vergessen, was mir
„Ich hoffe, die Menschen erkennen, dass die Geschichte dazu tendiert, sich zu wiederholen.“
Dr. Edith Eva Eger
Psychologin widerfahren ist. Es verfolgt mich jeden Tag. Aber ich habe mich damit arrangiert“, erzählt sie. Ein Prozess, der Jahrzehnte brauchte. Denn „sich mit einem Trauma zu arrangieren, bedeutet, dass man viele Schritte tun muss. Das ist harte Arbeit. Und es gibt kein Vergeben ohne Wut und Trauer.“Dabei müsse man durch das „Tal des Schattens und Todes“, aber: „Richten Sie sich dort nicht ein, stecken Sie nicht fest. Vor allem aber leben Sie in der Gegenwart“, sagt Eger.
Angst erzeugt Angst
Stichwort Gegenwart. Der Antisemitismus nimmt in Europa, auch in Deutschland und Österreich, zu. Spürt die Psychologin bei diesem Gedanken Furcht? Eger antwortet: „Angst erzeugt nur mehr Angst, unser größter Feind heißt Ignoranz und Unwissenheit. Ich hoffe, die Menschen erkennen, dass die Geschichte dazu tendiert, sich zu wiederholen. Deshalb mache ich alles, was in meiner Macht steht, damit unsere Kinder und Enkelkinder niemals erleben und erfahren müssen, was ich erleben und erfahren musste. Denn wir alle sind im Grunde gute Menschen, die auf die Welt gekommen sind, um zu lieben und eine große Familie zu bilden, in der wir alle einander bestärken.“