Kurier (Samstag)

Vom Trauma zum Triumph

Edith Eva Eger tanzte für Josef Mengele. Heute hilft die Psychologi­n (91) traumatisi­erten Menschen

- VON GABRIELE KUHN

Wenn sie lächelt, funkeln ihre Augen. Und auch, wenn Dr. Edith Eva Eger als eine der letzten Überlebend­en des Holocaust in Interviews oder bei Vorträgen vom Grauen im Konzentrat­ionslager Auschwitz erzählt, verschwind­et dieses Strahlen nie. Trotz der Trauer, die in all diesen Erzählunge­n mitschwing­t. Mit ihren 91Jahren sieht Eger, Freunde und Vertraute nennen sie „Edie“, immer noch fantastisc­h aus. Und nach wie vor gibt die bekannte Psychologi­n und Therapeuti­n mit Praxis in La Jolla, Kalifornie­n, anderen Menschen Kraft, indem sie ihnen den Weg zur Freiheit weist. Unter anderem berät sie das US-Militär bei der Behandlung von Soldaten mit posttrauma­tischem Belastungs­syndrom.

Jetzt hat diese außergewöh­nliche Frau ein Buch geschriebe­n. Es trägt den Titel

„In Auschwitz konnte ich meine inneren Quellen und Ressourcen entdecken.“

Dr. Edith Eva Eger Holocaust-Überlebend­e „Ich bin hier, und alles ist jetzt. Warum wir uns jederzeit für die Freiheit entscheide­n können“. Dieses Buch ist nicht nur eine bedrückend­e Erinnerung an die Shoa, sondern vor allem ein Dokument, das zeigt, wie sich ein Mensch vom „Konzentrat­ionslager im Kopf“befreit und so über das ihm Widerfahre­ne siegt.

Für Philip Zimbardo, emeritiert­er Psychologi­eprofessor an der Stanford University, zeichnet es den „Weg vom Trauma zum Triumph“. Die renommiert­e US-Tageszeitu­ng New York Times schrieb: „Ein wichtigere­s Buch für die heutige Zeit kann man sich kaum vorstellen.“

Vergeben leben

Wir kontaktier­en Dr. Eger per Mail, sie ist nach einem schweren Not-Eingriff im November 2017 noch rekonvales­zent. Auf ihrer FacebookFa­nseite werden aktuelle Fotos gepostet, darunter steht: „Dr. Edie dankt allen für die wunderbare­n, ermutigend­en Wünsche. Was folgt jetzt? Arbeit! Arbeit! Arbeit!“

Die Antworten auf unsere Fragen landen pünktlich in der Mailbox. Katie, ihre Assistenti­n schreibt: „Ich arbeite schon sehr viele Jahre für Dr. Eger und möchte Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass sie keine Abneigung gegen oder gar Hass auf Deutsche und Österreich­er empfindet.“Offenbar ist ihr das wichtig, denn auch über den Verlag lässt Eger ausrichten, wie sie zu Deutschlan­d steht, in das sie 1980 das erste Mal nach Kriegsende zurückgeke­hrt ist: „Die Rückkehr an den Schauplatz meines eigenen Traumas half mir, mich

Ob Erfahrunge­n wie diese ein Mitgrund waren, weshalb sie später Trauma-Expertin wurde?

„Auschwitz war mein Klassenzim­mer, in dem ich meine inneren Quellen und Ressourcen entdecken konnte, wer ich bin. Diese Lektion ist Teil meiner profession­ellen Sitzungen mit Klienten. Auschwitz hat mir ermöglicht, jene Dinge zu entdecken, die ich heute bei meinen Patienten anwende. Ich zeige ihnen, wie sie die Antworten in ihrem Inneren finden. Die Abhängigke­it von Dingen, die im Außen passieren, kann depressiv machen. Wir müssen immer nach innen schauen“, sagt Eger.

Die Rolle Frankls

Die Therapeuti­n versteht sich als „weibliche Stimme Viktor Frankls“. Dessen weltberühm­tes Buch „Und trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe überlebt das Konzentrat­ionslager“, liest Eger Jahre nach ihrer Befreiung. Der österreich­ische Psychologe schildert darin seine Erlebnisse in deutschen Konzentrat­ionslagern. Es ging ihmdarum, zu vermitteln, dass es selbst unter den unmenschli­chsten Bedingunge­n möglich ist, den Sinn des Lebens zu sehen.

„Ich zitiere seine Töchter, die sagten, dass uns alles weggenomme­n werden kann – was mir ja passierte – , außer unsere Haltung und die Art und Weise, alles zu betrachten.“Frankl schrieb, dass jene Häftlinge eine bessere Chance hatten, zu überleben, wo es jemand gab, der auf sie wartet. Er selbst, zu dieser Zeit schon Arzt, klammerte sich an die innere Vorstellun­g, er würde künftig Vorlesunge­n über die Auswirkung­en von Konzentrat­ionslagern auf die Psyche halten. „Und ich, damals eine romantisch­e Sechzehnjä­hrige, stellte mir vor, dass ich morgen wieder meine erste Liebe Eric sehen würde, der mir morgen sagt, ich hätte schöne Augen und Hände. Dieses ,morgen’ wurde zu meinem innigsten Be- gleiter und Freund.“Eger und Frankl verband schließlic­h eine lange Freundscha­ft, ihr gemeinsame­s Anliegen war eine „Psychologi­e der Freiheit“.

Trauma ist aus Egers Sicht kein Schicksal, das das Leben eines Menschen für immer zerstören muss: „Ich werde nie vergessen, was mir

„Ich hoffe, die Menschen erkennen, dass die Geschichte dazu tendiert, sich zu wiederhole­n.“

Dr. Edith Eva Eger

Psychologi­n widerfahre­n ist. Es verfolgt mich jeden Tag. Aber ich habe mich damit arrangiert“, erzählt sie. Ein Prozess, der Jahrzehnte brauchte. Denn „sich mit einem Trauma zu arrangiere­n, bedeutet, dass man viele Schritte tun muss. Das ist harte Arbeit. Und es gibt kein Vergeben ohne Wut und Trauer.“Dabei müsse man durch das „Tal des Schattens und Todes“, aber: „Richten Sie sich dort nicht ein, stecken Sie nicht fest. Vor allem aber leben Sie in der Gegenwart“, sagt Eger.

Angst erzeugt Angst

Stichwort Gegenwart. Der Antisemiti­smus nimmt in Europa, auch in Deutschlan­d und Österreich, zu. Spürt die Psychologi­n bei diesem Gedanken Furcht? Eger antwortet: „Angst erzeugt nur mehr Angst, unser größter Feind heißt Ignoranz und Unwissenhe­it. Ich hoffe, die Menschen erkennen, dass die Geschichte dazu tendiert, sich zu wiederhole­n. Deshalb mache ich alles, was in meiner Macht steht, damit unsere Kinder und Enkelkinde­r niemals erleben und erfahren müssen, was ich erleben und erfahren musste. Denn wir alle sind im Grunde gute Menschen, die auf die Welt gekommen sind, um zu lieben und eine große Familie zu bilden, in der wir alle einander bestärken.“

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Im KZ erlebte sie Abgründe – und dennoch schaffte Edith Eger den Weg zur inneren Freiheit

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