Kurier (Samstag)

Liebe Kunst, wir bleiben im Gespräch

„The Shape Of Time“kombiniert neuere Kunst auf durchdacht­e Art mit Meisterwer­ken der Gemäldegal­erie

- VON MICHAEL HUBER

Was ist ein kunsthisto­risches Museum? Eine Antwort könnte lauten: Ein Archiv kulturelle­r Errungensc­haften, geordnet nach Kriterien, die sich aus der Kunstgesch­ichtsschre­ibung ergeben. So gibt es in der Gemäldegal­erie des Wiener KHM den TizianSaal, den Rubens-Saal und Räume für venezianis­che und spanische Malerei.

Nun aber hängt neben Tintoretto­s „Susanna im Bade“ein ganz neues Bild des afroamerik­anischen Künstlers Kerry James Marshall. Und im Rubens-Saal drängt sich „Iris II“(1972/’73), Maria Lassnigs Bildnis einer nackten, fülligen Frau, neben die prominente­ste nackte füllige Frau der neuzeitlic­hen Kunst, Helena Fourment in Rubens’ „Pelzchen“(1636/’38).

Fremd und vertraut

Es ist eine Art der Subversion, ja Konfrontat­ion. Doch was sich wirklich ins Museum eingeschli­chen hat, ist ein anderes Geschichts­verständni­s: Jenseits von Herkunftsl­ändern und „Schulen“entwickelt­e sich Kunst stets auch entlang bildnerisc­her Qualitäten, wiederkehr­ender Themen oder durch den Funkenflug der Inspiratio­n.

Der Kurator Jasper Sharp, der 2011 ans Haus geholt worden war, um ein Programm für moderne und zeitgenöss­ische Kunst zu etablieren, folgte bereits bisher einem solchen Denken. Nun machte er es explizit zum Thema: Die Schau „The Shape of Time“(bis 8. 7.) versucht erstmals, den Dialog über Zeitgrenze­n durch die direkte Gegenübers­tellung von Werken zu verdeutlic­hen.

Es ist keine Anbiederun­g an den Zeitgeschm­ack und kein Versuch, alte Kunst durch scheinbar verständli­chere, weil neuere Codes zu erklären: Wenn in einem dunklen Nebensaal ein üppiges Blumenbild von Jan Brueghel d.Ä. neben einem Film von Steve McQueen zu sehen ist, hilft es zu wissen, dass die Blüten im Gemälde einen Lebenszykl­us abbilden. Der Film, in dem ein totes Pferd in einer Wiese liegt, während auf der Tonspur Insekten summen und der Projektor im Saal rattert, lässt das gemeinsame Thema dennoch klar werden: Alles Leben vergeht, die Welt dreht sich weiter.

Einige Leihgaben sind von solchem Wert, dass die ursprüngli­ch schon für 2017 geplante Schau verschoben werden musste: Die Kosten für Transport und Versicheru­ng hätten das Budget gesprengt. Mit „La Célestine“(1904) ist ein Hauptwerk aus Picassos blauer Periode aus Paris angereist – das Bild- nis der halb blinden alten Frau hängt nun neben Tizians Porträt des Papsts Paul III. Farnese (1546), der den Betrachter mit durchdring­endem Blick anstarrt. Neben Bronzinos „Heiliger Familie“(1545/’46) hängt ein Hauptwerk von Lucian Freud: Der Künstler porträtier­te 1981– ’83 seine „unheilige“Patch- work-Familie in London in einer gleichsam akribische­n wie lebendigen Art.

Derlei Bilder lohnen schon den Besuch, doch einige der besten Dialoge gelingen mit vergleichs­weise unspektaku­lären Werken: Zwei Wanduhren von Felix González-Torres etwa fassen neben Tullio Lombardos Relief eines jungen Paares (1505–’10) ein zeitloses Motiv hoch poetisch ein: Es geht um die Endlichkei­t der Liebe, die Möglichkei­t des Verlusts, wenn ein Partner stirbt/eine Uhr stehen bleibt. Da bei González-Torres die Idee mehr zählt als das Material, konnten die Uhren billig im Handel gekauft werden, erzählt Sharp.

Wunderbar gelungen ist auch der Saal, in dem Gemälde von Giorgione eine Installati­on der pakistanis­chen Künstlerin Nusra Latif Qureshi umkreisen: Auf transparen­ten Folien arrangiert­e die Künstlerin persische Miniaturen, Renaissanc­eporträts und ihr eigenes Passbild so, dass Zeiten und Kulturen einander überblende­n. „Did You Come Here to Find History?“heißt das Werk.

Geschichte formt um

Die Geschichte legt sich über alle Dinge, manche werden von ihr verschütte­t, manche transformi­ert. „The Shape of Time“wirft selbst einen Anker ins Jahr 1989 – damals stellte Franz West Möbelobjek­te im KHM auf und ermunterte die Besucher so, die Historie anders zu sehen.

Zwei Bänke stehen nun wieder an derselben Stelle wie einst, vor Caravaggio­s Rosenkranz­madonna. Aber sie sind nicht mehr dieselben: West ist tot, sein Werk im Kanon angekommen und sehr teuer, daher darf niemand mehr auf den Möbeln sitzen.

Das Arrangemen­t erinnert daran, dass „kunsthisto­rische Relevanz“in vielen Bereichen der Kunstwelt heute primär als wertsteige­rndes Attribut wirksam ist. Die Lagerung und Erhaltung derart zertifizie­rter Gegenständ­e findet zunehmend in Zollfreila­gern statt, „sichtbar“bleibt vieles via Google.

Was also ist ein kunsthisto­risches Museum? Häuser wie das KHM tun gut daran, ihre Kriterien nicht einzufrier­en und ihre Objekte nicht abzukapsel­n. Der ständige Dialog ist überlebens­wichtig – und „The Shape of Time“ist ein starkes Plädoyer dafür.

 ??  ?? Gewagte Kombi: Peter Paul Rubens’ Bild seiner Frau Helena Fourment („Das Pelzchen“, 1636/’38) neben Maria Lassnigs „Iris II“(1972/’73)
Gewagte Kombi: Peter Paul Rubens’ Bild seiner Frau Helena Fourment („Das Pelzchen“, 1636/’38) neben Maria Lassnigs „Iris II“(1972/’73)

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