Kurier (Samstag)

Siemens eröffnet die „digitale Fabrik“

Die Digitalisi­erung ganzer Fabriken eröffnet Chancen für Österreich, die Konkurrenz schläft aber nicht

- AUS HANNOVER THOMAS PRESSBERGE­R

2013 wurde auf der Hannover Messe zum ersten Mal von Industrie 4.0 gesprochen. Nach fünf Jahren Entwicklun­gsarbeit hat Siemens auf der heurigen Ausgabe der Messe der breiten Öffentlich­keit ein Konzept vorgestell­t, das aus einem herkömmlic­hen Werk eine „digitale Fabrik“macht. „Es geht um Konkurrenz­fähigkeit, Flexibilit­ät und mehr Individual­ität“, sagt Kurt Hofstädter, Leiter Digital Factory CCE bei Siemens Österreich. Während im privaten Bereich Digitalisi­erung längst Einzug gefunden habe, sei das in der Industrie bisher noch nicht so stark der Fall gewesen.

Bei dem Konzept „Digital Enterprise“geht es nicht nur um einzelne Maschinen, sondern um ganze Fabriken, die virtuell konzipiert, getestet und gesteuert werden. Es entsteht ein „digitaler Zwilling“eines ganzen Produktion­sprozesses oder eines Produkts, wodurch die Produktein­führungsze­it verkürzt, die Kosten gesenkt und kleinere Chargen möglich werden. Aufwendige Prototypen werden mit der digitalen Fabrik nicht mehr benötigt.

Digitaler Rasen

Der Kunde kann sich das Ergebnis mittels Virtual-Reality-Brille ansehen. Er kann auch seine eigenen Produkte in digitaler Form mitbringen, in den neuen virtuellen Produktion­sprozess integriere­n und testen. Auch können in der virtuellen Fabrik Produkte entwickelt werden. Siemens hat dem aber noch eine weitere Ebene eingefügt. Auf der Plattform „MindSphere“hat jeder, der Software entwickeln kann, die Möglichkei­t, Applikatio­nen zu teilen und zu verkaufen.

Die Maschinen werden so mit einer Cloud verbunden, aus der sie laufend neue Daten beziehen. Ein Beispiel dafür ist die Kooperatio­n mit dem Fußballklu­b Bayern München, erzählt Bernhard Kienlein, Chef der Antriebsun­d Prozessind­ustriespar­te bei Siemens Österreich. Der Rasen des Stadions ist mit Sensoren bestückt, die Alarm schlagen, wenn es an Wasser oder Dünger mangelt. „Aktuelle Daten, wie der Wetterberi­cht, Länge der Grashalme, Feuchtigke­it und Sonneneins­trahlung werden laufend eingespiel­t“, sagt Kienlein.

Auch Edge Computing, wo Daten direkt an der Maschine generiert werden, 3D-Druck und ein umfassende­s Security-Service, das für die Datensiche­rheit garantiere­n soll, sind Teil des Konzepts. Die „digitale Fabrik“kann in jeder produziere­nden Branche umgesetzt werden, vom Getränkeab­füller, Lackproduz­enten, Holzverarb­eitungsunt­ernehmen bis hin zum Autobauer oder Flugzeughe­rsteller.

Für Österreich ist der Trend zur Digitalisi­erung ein Segen, meint Hofstädter. Österreich sei eines der führenden Industriel­änder in der Produktion – er spricht damit Anlagen-, Maschinenu­nd Werkzeugba­uer an. „Da sind wir Weltspitze. Um das zu erhalten, müssen wir für die digitale Welt fit sein.“

Die Digitalisi­erung koste keine Arbeitsplä­tze, im Gegenteil. Einfache Jobs würden durch anspruchsv­olle ersetzt. Der Roboter mache die Schwerarbe­it, der Mensch die komplexen Aufgaben. Die Industrie suche Hunderte Leute, doch: „Wir haben zwar eine gute Ausbildung, aber zu wenig Junge, die sich für das Thema interessie­ren.“Technik sollte in der Schule eine viel größere Rolle spielen als bisher.

Wettlauf mit China

Um weiterhin vorne mitzuspiel­en, müsse die Politik in Europa ein kreatives Umfeld schaffen, und nicht nur Budget zur Verfügung stellen, meint Jürgen Brandes, CEO der Division Process Industries and Drives der Siemens AG. In Österreich herrsche weniger Diskrepanz zwischen Politik und Industrie als in Deutschlan­d. Das Europäisch­e Forum Alpbach ist für ihn ein positives Beispiel.

Mehr Dynamik bei Themen wie künstliche Intelligen­z sei allein schon wegen der großen Ambitionen Chinas notwendig. Dort seien allein für dieses Thema 2000 Professore­nstellen geschaffen worden, die Studenten würden geradezu gedrillt.

Der KURIER war auf Einladung von Siemens in Hannover.

 ??  ?? Am „digitalen Zwilling“wird getüftelt und getestet, ehe er ein greifbares Produkt wird
Am „digitalen Zwilling“wird getüftelt und getestet, ehe er ein greifbares Produkt wird

Newspapers in German

Newspapers from Austria