Kurier (Samstag)

Über Sonne, Mond und Mars zur Großmutter in Apulien

BÜCHER Wissenscha­ftler und Analphabet­in. Enkel und Oma. Zwei Welten. Und ein Austausch.

- VON PETER PISA

Einmal schenkte ihr der Enkelsohn, der seit Kindertage­n die Ferien bei der italienisc­hen Großmutter in Mattinata, Apulien, verbrachte, ein Buch.

Er wusste, sie war Analphabet­in. Aber es war sein erstes Buch über die Sterne. Thomas de Padova ist ein deutscher Physiker und Astronom und Wissenscha­ftsjournal­ist.

Seine Nonna war enttäuscht, als Thomas ihr erklärte, er habe das Buch bloß GESCHRIEBE­N.

Benzinkani­ster

Ihr wäre lieber gewesen, er hätte es GEBUNDEN, ihr Enkel wäre BUCHBINDER geworden. Sie schätzte das Handwerk.

Aber gut, wenn der Bub studiert hat, kann er wenigstens Antwort geben: „Stimmt das, dass die Sonne deshalb so hell leuchtet, weil sie an einen Benzinkani­ster angeschlos­sen ist?“

De Padova dachte, sie meinte es bildlich. Brav gab er Auskunft. Aber dann bemerkte sie: „Ich glaube, es gibt da jemanden, der nachfüllt ...“

Es verwundert­e später nicht mehr, als die über Jahrzehnte schwarz gekleidete Witwe wissen wollte, wo die Tür ist, durch die Jesus in den Himmel gekommen war.

„Nonna“ist Liebe. Über Sonne, Mond und Mars öffnete sich in einem Sommer der Wegzuintim­eren Gesprächen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war es bei den Besuchen vor allem darum gegangen, Pasta für die alt gewordene Frau einzukaufe­n.

Will sie mehr von den tubetti Nr. 64? Oder lieber stortini bucati 67?? Schon schaltet sich eine Verwandte im Supermarkt ein: Nimm auch ditalini für die Suppe! Und corallini 31!

Zündhölzer

Aber von nun an konnte man mit ihr auch darüber reden:

Alle gingen fort, alle ließen sie allein, der Vater, der Ehemann, der Sohn ... und wenn der Nonno nach einem Jahr als Bauarbeite­r aus Deutschlan­d zurückkehr­te, grüßte er seine Frau nicht einmal. Warum nicht?

Das macht de Padova sehr schön: dass die Nonna näher kommt. So weit weg war sie anfangs – auch, weil sie mit Zündhölzer­n unterm Kopfpolste­r schlafen ging.

Aber es ist verständli­ch: Als sie Kind war, lebte sie mit ihrem Vater in einer feuchten Höhle. Zündhölzer waren Mangelware, sie mussten trocken bleiben, um Feuer machen zu können ...

Hier kommen zwei Welten zusammen. Es ist ein Austausch. Manerfährt gar nicht, dass de Padovas Nonna mittlerwei­le tot ist.

Weil sie ja bleibt. Wie das Meer. Wie der Rosmarin. Wie ihre vielen Gebete. Das Aufbewahre­n ist Sinn dieses Buches.

 ??  ?? Die italienisc­he Großmutter als junge Frau, etwa ums Jahr 1940
Die italienisc­he Großmutter als junge Frau, etwa ums Jahr 1940
 ??  ?? Die Welt seiner Nonna: Thomas de Padova lebt (meist) in Berlin
Die Welt seiner Nonna: Thomas de Padova lebt (meist) in Berlin
 ??  ?? Thomas de Padova: „Nonna“Hanser Berlin. 176 Seiten. 18,50 Euro. KURIER-Wertung:
Thomas de Padova: „Nonna“Hanser Berlin. 176 Seiten. 18,50 Euro. KURIER-Wertung:
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria