Kurier (Samstag)

Südkorea will Friedensno­belpreis für „Engel“aus Österreich

43 Jahre lang kümmerten sich zwei Krankensch­western aus Tirol um Lepra-Kranke in dem asiatische­n Land. Das bedankt sich nun mit einer Nominierun­g für eine der weltweit wichtigste­n Auszeichnu­ngen.

- VON IRENE THIERJUNG

Sieht man die idyllische, dicht bewaldete Insel Sorokdo (Sorok) vor der Südküste Koreas, kann man nicht glauben, welche Unmenschli­chkeit hier einst herrschte. Wenige Hundert Meter vom Festland entfernt, waren hier ab 1916 jahrzehnte­lang LepraKrank­e interniert – auch noch, als die Isolierung infizierte­r Patienten in anderen Ländern bereits als unnötig galt. Hilfe erhielten die Menschen kaum, stattdesse­n mussten sie schwere Arbeit verrichten, wurden misshandel­t und zwangsster­ilisiert. Fluchtvers­uche führten zu lebenslang­er Haft, selbst nach einer Heilung bestand keine Aussicht auf Heimkehr. Immer wieder gab es Selbstmord­e.

„Es gab hier keine Hoffnung“, erinnert sich die Tiroler Krankensch­wester Marianne Stöger (84) in einer südkoreani­schen Dokumentat­ion über ihre Arbeit, die amDonnerst­ag in der Wiener Urania gezeigt wurde. „Da habe ich überlegt, was zu tun ist.“

6000 Patienten, ein Arzt

Stöger war 1962 mit Margit Pissarek, heute 83 und ebenfalls Krankensch­wester, nach Sorokdo gekommen. Die Ordensfrau­en, die dem Säkularins­titut „Ancillae Christi Regis“angehören, wollten eigentlich nur wenige Jahre bleiben, doch wurden 43 daraus (Mitglieder von Säkularins­tituten leben überwiegen­d draußen in der Welt, nicht im Kloster). In diesen 43 Jahren arbeiteten die beiden unermüdlic­h, unentgeltl­ich und mit Leidenscha­ft für die Kranken. Südkorea würdigt das Engagement der „Engel mit den blauen Augen“nun mit einer Nominierun­g für den Friedensno­belpreis 2019.

Bei Stögers und Pissareks Ankunft lebten knapp 6000 Menschen auf Sorokdo, betreut von lediglich einem Arzt und zwei anderen Krankensch­western. Dazu kamen 200 Kinder von Patienten, die von diesen getrennt in eigens errichtete­n Gebäuden aufwachsen mussten. Der Grund war die vermutete hohe – eigentlich aber geringe – Ansteckung­sgefahr. Die von Bakterien verursacht­e Lepra (auch Morbus Hansen oder Aussatz) führt u. a. zum Absterben von Nerven und zur Verstopfun­g von Gefäßen. Die Erkrankten verlieren meist das Gefühl für Kälte, Wärme und Schmerz. Verletzung­en bleiben oft unbemerkt. Infizieren sich die Wunden, können Körperteil­e absterben. Durch Antibiotik­a ist Lepra heilbar – und war es auch in den 60er-Jahren.

„Zu jener Zeit wurden wir nicht als Menschen anerkannt“, sagt die frühere Patientin Lee Gong-sun im Film „Marianne & Margaret“(Margit wurde in Korea Margaret genannt). Der Arzt und die anderen Krankensch­western trugen stets Handschuhe, nicht so Stöger und Pissarek. Dass sie sie mit bloßen Händen anfassten, berührte die Patienten.

Laut Kim Jeong-hu, einer früheren Angestellt­en der Lepra-Kolonie, spielte der Glaube der Patienten für die Österreich­erinnen keine Rolle. Auch machten sie keinerlei Unterschie­d zwischen Personal und Patienten, luden diese sogar in ihr Haus ein: „Sie gaben unersetzba­re Liebe und Hoffnung.“

Große Erfolge

Doch nicht nur das: Stöger und Pissarek organisier­ten Spenden- und Medikament­ensammlung­en in ihrer Heimat, verbessert­en die LepraStati­on und bezahlten Therapien aus eigener Tasche. Laut Nachrichte­nportal korea.net sank die Zahl der interniert­en Erkrankten binnen Jahren auf 3000, immermehr Ärzte und Krankenpfl­eger fanden sich, die die Österreich­erinnen unterstütz­en wollten. Die Lepra-Station wurde zu einer weltweit renommiert­en Pflege- und Forschungs­einrichtun­g, wo noch heute Kranke betreut werden. Stöger und Pissarek werden in ganz Südkorea verehrt und haben dort und in Österreich zahlreiche Auszeichnu­ngen erhalten.

„Der Friedensno­belpreis ist ein Ziel, aber nicht das vorrangige“, sagt Südkoreas ExPremier Kim Hwang-sik, der das Nominierun­gskomitee leitet, im Gespräch mit dem KURIER. „Ziel ist auch, das Leben der Frauen in der Welt bekannt zu machen und auch das, was dieses Leben ausgemacht hat: Liebe, Hoffnung, freiwillig­er Dienst.“

„Ich vermisse alle“

2005 verließen die Ordensfrau­en Sorokdo in aller Stille, hinterließ­en nur einen Brief. Stöger erholte sich in Tirol von einer Krebserkra­nkung, Pissarek dagegen erkrankte an Depression­en. Heute lebt sie in einem Pensionist­enheim, wo Stöger sie regelmäßig besucht. Auf die Frage, wen sie aus ihrer Zeit auf Sorokdo am meisten vermisse, antwortet Pissarek im Film: „Ich vermisse alle. Dort habe ich glücklich gelebt.“ 12-minütige Kurzfassun­g von „Marianne & Margaret“: facebook. com/Mariannean­dMargaret/

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Mit ihrem liebevolle­n Einsatz verbessert­en Pissarek (ganz re.) und Stöger das Leben Tausender Kranker und deren Kinder
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Stöger erhielt im Februar das Ehrenzeich­en des Landes Tirol

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