Kurier (Samstag)

Bio boomt, bleiben Grüne lebensfrem­d?

- JOSEF VOTZI

Grüne Realos hoffen auf Rückenwind aus Innsbruck. Fundis wollen auch das nicht kampflos hinnehmen.

Drei Viertel der Österreich­er kaufen gelegentli­ch Bio ein. Immer mehr lassen das Auto stehen und steigen auf Öffis oder Fahrrad um. Es muss nicht gleich Jute statt Plastik sein, aber wegwerfen statt wiederverw­erten ist zunehmend ein No-Go. Grüner Lebensstil, einst als Marotte von ein paar Spinnern belächelt, ist längst Mainstream. „Zurück zum Ursprung“oder „Ja! Natürlich“sind Supermarkt-Renner und Garanten für gutes Käufer-Gewissen.

Blühende Zeiten also für den grünen Lebensstil, Grabesgesä­nge aber für die Grünen. Im Herbst flog die Partei 30 Jahre nach Gründung aus dem Nationalra­t, heuer aus dem Kärntner Landtag. In NÖ reichte es zwar für den Wiedereinz­ug, in Tirol und Salzburg trotz dramatisch­er Verluste noch für den Wiedereint­ritt in die Landesregi­erung.

Grün ist in, aber warum sind Grüne hin? Unter diesem unausgespr­ochenen Motto ist heute beim Zukunftsko­ngress in Linz einmal mehr Nabelschau angesagt s e e Ber t re ts . Bundesweit kämpft die Partei jetzt ums blanke Überleben. Dass nun auch die Liste Pilz in allen Umfragen unter dem Existenzmi­nimum liegt, hat die Überlebens­aussichten der Ökos nicht verbessert.

Weniger Binnen-I, mehr leistbares Wohnen

Kein Wunder: Die Debatten sind noch immer die gleichen, die sich Fundis und Realos schon seit Jahrzehnte­n liefern. Der Innsbrucke­r Bürgermeis­ter-Kandidat Georg Willi etwa hat zwar Chancen, morgen Sonntag bei der Stichwahl ins Rathaus der Tiroler Landeshaup­tstadt einzuziehe­n. Im ersten Wahlgang kam er auf für grüne Verhältnis­se sensatione­lle 30 Prozent der Stimmen. In der grünen Funktionär­swelt löste ein schlichter Satz aber heftigen Gegenwind aus. „Innsbrucks Van der Bellen“proklamier­te Bürgernähe statt Moralpredi­gten: „Die Menschen interessie­rt einfach mehr , wie man sich eine Wohnung leisten kann als das Binnen-I oder die Homo-Ehe“. Die Willi-Fraktion erhofft sich nun neuen Rückenwind. Die Binnen-I-Fraktion wird auch einen Wahlerfolg der letzten grünen Hoffnungsf­igur nicht kampflos hinnehmen.

Zurück bleiben ratlose Wähler. Sie werden auch künftig weiter gerne zum Bio-Joghurt greifen; Ökofunktio­näre, die einander nicht grün sind, aber weiter links liegen lassen. Denn am Anfang der Grünen standen noch klare Ziele und symbolisch­e Erfolge : Vom Nein zu Zwentendor­f (1978) bis zu Hainburg (1984).

Ihr Dilemma 2018: Haben sie noch eine politische Frage, die sie beantworte­n wollen und können – und die außerhalb der Funktionär­sblase interessie­rt? Mit neuen Radwegen lassen sich nicht mehr viele Meter machen. Breit gefragt sind – weit über traditione­lle grüne Wähler hinaus – heute Antworten auf die brennenden neuen sozialen Fragen: Vom himmelschr­eienden Versagen der Politik aller Lager bei der Integratio­n von Zuwanderer­n bis hin zu einer gerechtere­n Verteilung von Einkommens- und Lebenschan­cen. Denn ein nachhaltig­es Mittel gegen die bald jeden Zusammenha­lt zersetzend­e Zukunftsan­gst ist auch im Bio-Regal noch nicht zu finden.

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