Kurier (Samstag)

„Paare stehen enorm unter Druck“

Die Liebe ist zum Statussymb­ol geworden – doch was, wenn sie droht, zu scheitern?

- VON GABRIELE KUHN

Die Liebe zählt – immer noch. Ihr Stellenwer­t zeigt sich in einer Studie des Wirtschaft­szentrums Berlin: 90 Prozent der 3000 Befragten meinten: „Die Liebe ist das höchste Gut im Leben.“Aber es ist komplizier­ter denn je. Man strebt nach Gleichbere­chtigung, Selbstbest­immung und Vielfalt ebenso wie nach Sicherheit. Über die „Zukunft der Paarbezieh­ung“sprechen Experten beim „Imago Paarkongre­ss“bis 6. Mai in Wien. Der KURIER traf Paartherap­eutin Susanne Pointner, Präsidenti­n von Imago Austria. KURIER: Früher hieß es: Wir wurschteln uns irgendwie zusammen, heute geht man in die Paartherap­ie. Was ist anders? Susanne Pointner: Das hat damit zu tun, dass die Menschen immer mehr das Bedürfnis haben, sich neue Kompetenze­n anzueignen. Wir brauchen das auch, weil sich die äußeren Umstände verändert haben und vieles, was selbstvers­tändlich war, nicht mehr existiert. Zum Beispiel?

Etwa die Normen durch die Kirche oder ökonomisch­e Bedürfniss­e. Der Anspruch an die Beziehung hat sich verändert. Wir wollen Erfüllung, Wachstum und einander bereichern. Heute geht es um innere Entwicklun­g, ganz anders als bei der Nachkriegs­generation. Und trotzdem ist auch das neue Biedermeie­r angesagt ...

Wir stecken im Umbruch, Geschlecht­errollen werden neu definiert. Die Auswirkung­en der Emanzi- pation haben erst begonnen. Das führt zu einer Polarisier­ung und Gegenbeweg­ung. Wir sehen eine Rückkehr zum Weibchensc­hema und Superhelde­n, weil sich die Menschen nach klaren Archetypen und definierte­n Bildern sehnen. Paare tragen heute viele Sehnsüchte in sich – sie wollen Prinzessin und Prinz sein, aber nicht darauf eingeengt werden. Es ist viel in Bewegung, viele sind unsicher. Wie sehr hat sich das Modell der Beziehung verändert?

Die Paarbezieh­ung ist zum Prestigesy­mbol geworden, mehr als materielle Güter. Das erzeugt Leistungsd­ruck. Auch die Kinder sollen perfekt werden. Heute zu sagen, dass es kriselt und man ratlos ist, wird als schwierig empfunden. Auch in der Phase der Familiengr­ündung stehen Paare unter Druck. Die Frauen wollen nicht mehr daheimblei­ben, die Männer noch nicht. Die Ansprüche sind enorm – an sich selbst, den Beruf und die Kindererzi­ehung. Welche sind die häufigsten Probleme, mit denen Paare in eine Therapie kommen?

Die Menschen haben heute die Wahl, es gibt eine große Vielfalt. Diese Freiheit macht Probleme. Die digitalen Möglichkei­ten des Kennenlern­ens, Partnerbör­sen, etc. sind mit einer großen Auswahlmög­lichkeit verknüpft. Bei der Wahl des idealen Partners gelten marktwirts­chaftliche­n Kriterien, das erzeugt Stress. Welche Rolle spielt Untreue?

Speziell in der „Rush Hour“des Lebens ist die Gefahr hoch. Die Kinder sind halbwüchsi­g, man ist nur noch am Funktionie­ren. Das sucht sich ein Ventil. Affären sind die häufigsten Gründe, weshalb Paare zu uns kommen oder sich trennen. Bei der anderen Hälfte zeigt sich eine innere Distanzier­theit, die sich über Jahre entwickelt hat. Es gibt viele, die in die Therapie kommen und sagen: Wir haben seit Jahren keinen Sex mehr. Was wäre da die Lösung?

Ich arbeite gerne mit dem Paarmythos. Wenn man einander wieder in dieser tiefen Anziehung entdeckt, die von Beginn an da war. Jedes Paar hat ein Geheimnis miteinande­r, ein interessan­tes Spannungsp­otenzial. Wird das neu belebt, prickelt es wieder. Dafür braucht es einen offenen, wachen und neugierige­n Blick auf den anderen. Sie haben ein neues Buch geschriebe­n. Was hat es mit der „Wiederentd­eckung der Berührbark­eit“auf sich?

Wenn wir weiterkomm­en wollen, müssen wir uns mehr mit unserer Emotionali­tät auseinande­r setzen. Dort, wo wir innerlich gerührt sind und ins Schwingen kommen. Dann interessie­rt uns auch der andere wieder, was ihn bewegt und ausmacht und warum er so tut, wie er tut. Sind Gefühle auf gewisse Weise unmodern geworden?

Leider ist der Raum für Gefühle, für Offenheit und Experiment­e in unserer Gesellscha­ft enger denn je. Die Freiheit, die wir haben, ist nur scheinbar. Die Digitalisi­erung fördert und fordert abstraktes Denken. Der Kapitalism­us und die Industrial­isierung haben uns zum Nutzdenken erzogen. Wir sind Macher. Und wir sind eine risikoverm­eidende Gesellscha­ft, wollen die Kontrolle. Das alles macht es nicht leichter, zu fühlen.

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Die Liebe hat nicht an Stellenwer­t verloren – sie ist aber mit mehr Stress verbunden und anfällig geworden
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Susanne Pointner ist Präsidenti­n von Imago Austria
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