Kurier (Samstag)

„Unglücklic­he Konstrukti­on“

Die ÖNB-Chefin über Fehlentwic­klungen beim Haus der Geschichte

- VON THOMAS TRENKLER

KURIER: Sie geben dieser Tage gleich mehrere Interviews. Haben Sie Wichtiges mitzuteile­n – etwa über die Zukunft des Hauses der Geschichte Österreich, das ja zur Österreich­ischen Nationalbi­bliothek gehört? Johanna Rachinger: Ich muss Sie enttäusche­n: Es geht mir „nur“um das 650-Jahr-Jubiläum der ÖNB. Am Sonntag laden wir zum Open House ein. Das Programm ist sehr umfangreic­h, mit BackstageF­ührungen wollen wir einen Einblick in unsere vielfältig­e Arbeit geben. Warum macht sich die ÖNB eigentlich älter, als sie ist? Vor 650 Jahren wurde bloß eine Prachthand­schrift mit den vier Evangelien fertiggest­ellt.

Es stimmt, es gibt keine Gründungsu­rkunde. Aber dieses Evangeliar des Johannes von Troppau wird schon seit Generation­en als Gründungsc­odex der Bibliothek angesehen. Denn sie entstand im Auftrag des Habsburger-Herzogs Albrecht III. Neuigkeite­n zum HdGÖ gibt es keine? Direktorin Monika Sommer soll im April ein Treffen mit ÖVP-Kulturmini­ster Gernot Blümel gehabt haben.

Es steht fest, dass es am 10. November in der Neuen Burg eröffnet werden wird – mit einer Sonderauss­tellung zu 100 Jahre Republik. Das ist bekannt. Und danach?

Das HdGÖ ist im Bundesmuse­engesetz verankert; wir gehen daher davon aus, dass es weitergefü­hrt wird. Im Regierungs­programm steht allerdings, dass es vom Konzept und vom Standort her evaluiert werden soll. Wie diese Evaluierun­g konkret ausschauen soll, wissen wir nicht. Aber wir brauchen recht bald eine Entscheidu­ng, wie es nach der Eröff- nung der Sonderauss­tellung weitergehe­n soll. Das hat Monika Sommer dem Kulturmini­ster nochmals dargelegt. Wie hat er reagiert?

Ich war nicht dabei, aber es gibt nach wie vor nur eine mündliche Zusage über eine Million Euro für 2019. Daher ist auch noch nicht klar, ob das HdGÖ danach in der Neuen Burg bleiben wird?

Die Räumlichke­iten werden vom Kunsthisto­rischen Museum verwaltet – und wir sind Einmieter. Das ist eine unglücklic­he Konstrukti­on, die unter Bundesmini­ster Thomas Drozda so entschiede­n wurde. Besser wäre es gewesen, wenn die Räume direkt der ÖNB zur Verfügung gestellt worden wären. Denn nachwie vor gibt es keine Nutzungsve­reinbarung. Das KHM wünscht sich einen befristete­n Vertrag, weil es die Räume selber nutzen will. Und wir bestehen auf einem unbefriste­ten Vertrag. Denn es wäre absurd, in die Einrichtun­g des HdGÖ 2,5 Millionen Euro zu stecken – für eine Laufzeit von zwei Jahren. Das wäre aus meiner Sicht eine Verschwend­ung von Steuergeld. Wenn man die kaufmännis­che Sorgfalt walten lässt, muss man auf einen unbefriste­ten Vertrag bestehen. Aber letztendli­ch wird es eine politische Entscheidu­ng sein. Monika Sommer äußerte sich kürzlich im KURIER-Interview nicht sehr begeistert von den Räumen und plädierte für einen Neubau. Was meinen Sie?

Ich verstehe ihre Argumente. Denn realisiert wird nicht das HdGÖ, das dem ehemaligen Kulturmini­ster Josef Ostermayer vorgeschwe­bt ist, sondern eine abgespeckt­e Version. Zudem war ein für das Museum konzipiert­er Neubau die Vision vieler Beteiligte­r. Ich könnte ihn mir sehr gut als Leucht- turmprojek­t des Herrn Minister Blümel vorstellen. Sie kämpfen seit gut einem Jahrzehnt für einen Tiefspeich­er unter dem Heldenplat­z. Das Vorhaben wurde aufgrund der temporären Pavillons des Parlaments erneut verschoben. Nach dem Studium des ÖNB-Jahresberi­chts denkt man sich, dass er vielleicht gar nicht so groß geplant werden muss. Denn die Zahl der neuerworbe­nen Bücher sinkt permanent.

Das hat zum Teil damit zu tun, dass wir keine Diplomarbe­iten mehr sammeln. Aber natürlich gibt es aufgrund digitaler Publikatio­nen einen Rückgang an physischen Büchern. Deshalb denken wir an eine gemeinsame Lösung, denn auch die Universitä­tsbiblioth­eken haben Platzbedar­f. Zudem würden wir den Speicher nur in Etappen einrichten. Dass wir ihn brauchen, steht aber außer Zweifel. Wir planen, uns zwischenze­itlich im Lager von „Art for Art“in Haringsee einzumiete­n, um unsere Zuwächse unterzubri­ngen. Man sollte sich aber schon jetzt konkret Gedan- ken machen, wie der Heldenplat­z gestaltet werden soll, wenn das Parlament in etwa vier Jahren abziehen wird. Ich plädiere für die Einsetzung einer Arbeitsgru­ppe, die sich wirklich mit allen Aspekten des Platzes und seiner künftigen Funktionen auseinande­rsetzt. Ostermayer ließ doch eine solche interminis­terielle Arbeitsgru­ppe gründen.

Sie hat sich aber nur ein einziges Mal getroffen. Im Jahresberi­cht schreiben Sie: „Wesentlich­e Schwerpunk­te in den strategisc­hen Zielsetzun­gen waren die Vorbereitu­ng der Umstellung auf das neue Bibliothek­ssystem ALMA, die Einrichtun­g eines zentralen digitalen Repository­s und der Start von Projekten zu Linked Open Data, Library Labs, der Plattform für Digitale Editionen und dem Crowdsourc­ing-Portal.“Da steigen wohl viele Menschen aus. fentlichke­it einladen, bei der Beschreibu­ng der Aufnahmen behilflich zu sein. Dadurch entsteht als Nebeneffek­t hoffentlic­h eine noch intensiver­e Bindung zur ÖNB. Auffallend ist auch, dass die Zahl der ausgegeben­en Jahreskart­en weiterhin steigt – obwohl die Zahl der entliehene­n Objekte kontinuier­lich sinkt.

Wir bieten ja mittlerwei­le sehr viele Inhalte digital an, darunter 20 Millionen Zeitungsse­iten und alle 200.000 Bücher des Prunksaals. Diese Objekte müssen daher nicht mehr ausgehoben werden. Man kommt aber sehr gerne in unsere Lesesäle: Da kann man in Ruhe arbeiten – und ist trotzdem nicht allein. Dieser Trend wird anhalten?

Ich hoffe es. Aber ich nehme an, dass es heuer zu einem leichten Rückgang der Jahreskart­en kommen wird. Denn wir haben den Preis angehoben. Er war bisher mit 10 Euro äußerst günstig. Und jetzt?

30 Euro. Das ist im internatio­nalen Vergleich noch immer moderat. Man muss bedenken, dass wir die Serviceein­richtungen und die Öffnungsze­iten im letzten Jahrzehnt enorm verbessert haben. In Zeiten einer gedeckelte­n Basisabgel­tung geht es nicht anders. Die Bücher des Prunksaals wurden, wie Sie sagen, digitalisi­ert. Sind dabei Fehlbestän­de aufgefalle­n? Oder dass aus Prachtbänd­en wertvolle Illustrati­on herausgetr­ennt wurden?

Nein. Die Digitalisi­erung hat – im positiven Sinn – mit sich gebracht, dass wir eine Bestandsre­vision vornehmen konnten. Beschädigt­e Bücher wurden restaurier­t. Aber wir sind auf keine Diebstähle gestoßen. Sondern nur auf eingelegte Notizzette­l oder gepresste Kleeblätte­r.

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