Alle sind grässlich, jeder auf seine Art
Yasmina Rezas Kammerspiel „Der Gott des Gemetzels“in der Josefstadt – vergnüglich und abgründig
Die Frage drängt sich auf: Muss ein Stück, das von Burgtheater bis Berndorf wirklich schon überall aufgeführt wurde, jetzt unbedingt auch noch auf den Spielplan des Theaters in der Josefstadt?
Es muss nicht. Aber es kann. Auch Wiedersehen macht Freude. Dafür sorgt eine stimmige EnsembleLeistung beim von Torsten Fischer solide und schnörkellos inszenierten BoulevardKomödienhit „Der Gott des Gemetzels“.
Bürgerkrieg daheim
Und weil sich die Autorin Yasmina Reza bei ihrem klug klischierten Konversationsstück über Erziehung und Beziehung alles Überflüssige auf der Bühne verbeten hat, ist das karge Setting reduziert auf Acrylglas-Z-Stühle, Blumenvasen mit Tulpen und eine Skulptur.
Die These, die es zu beweisen gilt: In jedem Menschen lauert ein Ungeheuer.
Weil sich zwei Halbwüchsige am Schulhof prügelten, worauf einer der beiden zwei Zähne verliert, treffen einander die Eltern, um das Malheur zu besprechen. Wie im gehobenen Mittelstandsmilieu zu erwarten, sind die ersten Minuten geprägt von Vernunft, Höflichkeit und Respekt. Schließlich kommt mannicht aus der Banlieu, wo die Autos brennen.
Aber rasch bröckelt die gutbürgerliche Fassade der Wohlerzogenheit. Denn der Firnis der Zivilisation ist dünn. Die Regeln des Miteinanders, die den Mensch als soziales Wesen auszeichnen, gelten nicht mehr. Alles gerät außer Kontrolle und mündet schließlich in ein Furioso aus Aggression, Anfeindungen und Anfällen der Hysterie.
Vier unterschiedliche Charaktere und Temperamente treffen in der schwarzhumorigen Gesellschaftssatire aufeinander und machen Seelen-Striptease.
Alle sind grässlich. Jeder auf seine Art.
Es ist hochamüsant zuzusehen und zum Tränen lachen, wie da jeder jeden im verbalen Hickhack angiftet, wie sich dabei die Frontlinien auf dem Schlachtfeld ständig verschieben, wie die Liaisons zwischen Paaren wechseln und sich die Allianzen ändern – die Karten quasi im Minutentakt neu gemischt werden.
Judith Rosmair verkörpert mit Outrage die permanent überspannte undzucholerischen Ausbrüchen neigende Veronique, die Karikatur eines Gutmenschen, der jeden seine moralische Überlegenheit spüren lässt. Sie ist entsetzt über den Völkermord im afrikanischen Da- fur und noch mehr empört darüber, dass sich sonst niemand für ihr Lieblingsthema interessiert.
Ihr weibliches Pendant: Susa Meyer als arrogante Annette, kotzt auf einen Kunstkatalog und das Sakko ihres Mannes, der dann unter der Dusche auf der Bühne seinen Po zeigen darf.
Selbstentblößung
Neben dem Hamster- Hasser Michel (Marcus Bluhm) ist das vielleicht wichtigste Rädchen in der lustigen Feinmechanik der emotionalen Eskalation Michael Dangl als Alain: ein blasiert-gelangweilter, Kuchen mampfender gewissenloser Anwalt und Zyniker, bei dem fast im Minutentakt das Handy klingelt. Bis es seine genervte Frau im Wasser einer Vase versenkt.
Der Glaube an zivilisierte Menschen ist doch nur eine große Lüge, wird da suggeriert. Alle halten sich für was Besseres. Dabei sind wir doch nur Wilde. Zumindest ein rohes, mitleidloses Pack.
Undwer’s noch nicht weiß, erfährt’s hier und kann über die Wahrheit im Scherz lachen: „Die Ehe ist eine der schlimmsten Prüfungen, die uns das Leben auferlegt“.