Der Literaturnobelpreis macht Pause
Warum es heuer keine Verleihung gibt
2018 gibt es nach einem Übergriffskandal keine Verleihung, 2019 dafür zwei Preisträger
Es ist wahrlich nicht ganz einfach, die kulturelle Brücke von „Pulp Fiction“zur NewYorker Metropolitan Opera und zum altehrwürdigen Nobelpreis zu schlagen – und dennoch sind diese einander mehr verbunden, als ihnen lieb sein kann. Denn was mit dem tiefen Fall des einst so mächtigen Quentin-Tarantino-Produzenten Harvey Weinstein begann, führte zur schmachvollen Entzauberung des US-Klassik-Grandseigneurs James Levine – und nun zur Absage der heurigen Literatur-Nobelpreis-Verleihung.
Die Gemeinsamkeit ist die #MeToo-Debatte über sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch, die der Reihe nach lange gärende Wunden der Kulturwelt platzen lässt. Nun auch in Schweden, in der sonst so verborgen agierenden Akademie, die den Nobelpreisträger bestimmt. Zum ersten Mal seit 75 Jahren pausiert der Literaturpreis heuer; eine eskalierende Übergriffsaffäre habe die Auszeichnung zu sehr beschädigt, hieß es nach Beratungen. Mit der Pause soll der Ruf des weltweit wichtigsten Literaturpreises geschützt werden; 2019 soll es zwei Preisträger geben.
Hinter dem Vorhang
Es geht um den Mann eines Akademiemitglieds. Der soll seine Leitungsfunktion im von ihm geleiteten „Forum“, einem schwedischen Kulturverein, ausgenützt haben, um Frauen zu belästigen und zu missbrauchen (der KURIER berichtete gestern). Der weltweit bedeutende Nobelpreis und genau jene Dignität, von der er lebt, stürzt hier in sich zusammen . Bis nur noch die lokale Scheinwichtigkeit eines kleinen Kulturclubs und die, leider, ganz gewöhnliche Übergriffigkeit eines Mannes übrig bleibt, der nur in diesem Kontext Bedeutung hat. Dass wegen dieser Affäre nun der Nobelpreis 2018 erst im kommenden Jahr verkündet und verliehen wird, ist bedauerlich, wirft aber wohl kaum jemanden aus der Bahn (außer vielleicht Philip Roth, der noch auf seine Kür wartet).
Aber manch anderer Fall geht tiefer. Der Schuldspruch für Bill Cosby wegen Missbrauchs etwa ist für viele Amerikaner eine emotionale Herausforderung. Denn der war für viele, dank der Cosby-Show, so etwas wie der gutmütige Vater der Nation, und auch ein wegweisendes Beispiel für einen erfolgreichen Afroamerikaner (wenn auch in komischen Pullovern). Und „House Of Cards“Star Kevin Spacey war ein Aushängeschild für das sogenannte neue Fernsehen – bis bekannt wurde, dass er minderjährige Buben sexuell bedrängt haben soll.
Das vermehrte Scheinwerferlicht, das sich dank #MeToo auf den Machtmissbrauch in der Kulturwelt gerichtet hat, zeigt eine erschreckende Gleichförmigkeit und, ja, auch Banalität: Es geht in der Kultur ganz offenbar um nichts besser zu als in anderen Bereichen. Die Folge ist ein überaus schmerzhafter Aufdeckungs- und dann hoffentlich auch Heilungsprozess in Zeitlupe, der im Oktober des Vorjahres mit den Berichten über Weinsteins jahrzehntelangen Übergriffe begann – und immer mehr durchaus prominente Bereiche oder Persönlichkeiten des Kulturlebens betrifft. Von den Fernsehstudios zur Klassikwelt, von der Popmusik zur Kunst, von den Theaterbühnen bis hin zur Schwedischen Akademie – das Muster ist immer ähnlich: Machthaber, in den allermeisten Fällen Männer, missbrauchen ihre Position, um Schwächere, zumeist Frauen, zu nötigen.