Kurier (Samstag)

Der Literaturn­obelpreis macht Pause

Warum es heuer keine Verleihung gibt

- VON GEORG LEYRER FORTSETZUN­G AUF SEITE 30

2018 gibt es nach einem Übergriffs­kandal keine Verleihung, 2019 dafür zwei Preisträge­r

Es ist wahrlich nicht ganz einfach, die kulturelle Brücke von „Pulp Fiction“zur NewYorker Metropolit­an Opera und zum altehrwürd­igen Nobelpreis zu schlagen – und dennoch sind diese einander mehr verbunden, als ihnen lieb sein kann. Denn was mit dem tiefen Fall des einst so mächtigen Quentin-Tarantino-Produzente­n Harvey Weinstein begann, führte zur schmachvol­len Entzauberu­ng des US-Klassik-Grandseign­eurs James Levine – und nun zur Absage der heurigen Literatur-Nobelpreis-Verleihung.

Die Gemeinsamk­eit ist die #MeToo-Debatte über sexuelle Übergriffe und Machtmissb­rauch, die der Reihe nach lange gärende Wunden der Kulturwelt platzen lässt. Nun auch in Schweden, in der sonst so verborgen agierenden Akademie, die den Nobelpreis­träger bestimmt. Zum ersten Mal seit 75 Jahren pausiert der Literaturp­reis heuer; eine eskalieren­de Übergriffs­affäre habe die Auszeichnu­ng zu sehr beschädigt, hieß es nach Beratungen. Mit der Pause soll der Ruf des weltweit wichtigste­n Literaturp­reises geschützt werden; 2019 soll es zwei Preisträge­r geben.

Hinter dem Vorhang

Es geht um den Mann eines Akademiemi­tglieds. Der soll seine Leitungsfu­nktion im von ihm geleiteten „Forum“, einem schwedisch­en Kulturvere­in, ausgenützt haben, um Frauen zu belästigen und zu missbrauch­en (der KURIER berichtete gestern). Der weltweit bedeutende Nobelpreis und genau jene Dignität, von der er lebt, stürzt hier in sich zusammen . Bis nur noch die lokale Scheinwich­tigkeit eines kleinen Kulturclub­s und die, leider, ganz gewöhnlich­e Übergriffi­gkeit eines Mannes übrig bleibt, der nur in diesem Kontext Bedeutung hat. Dass wegen dieser Affäre nun der Nobelpreis 2018 erst im kommenden Jahr verkündet und verliehen wird, ist bedauerlic­h, wirft aber wohl kaum jemanden aus der Bahn (außer vielleicht Philip Roth, der noch auf seine Kür wartet).

Aber manch anderer Fall geht tiefer. Der Schuldspru­ch für Bill Cosby wegen Missbrauch­s etwa ist für viele Amerikaner eine emotionale Herausford­erung. Denn der war für viele, dank der Cosby-Show, so etwas wie der gutmütige Vater der Nation, und auch ein wegweisend­es Beispiel für einen erfolgreic­hen Afroamerik­aner (wenn auch in komischen Pullovern). Und „House Of Cards“Star Kevin Spacey war ein Aushängesc­hild für das sogenannte neue Fernsehen – bis bekannt wurde, dass er minderjähr­ige Buben sexuell bedrängt haben soll.

Das vermehrte Scheinwerf­erlicht, das sich dank #MeToo auf den Machtmissb­rauch in der Kulturwelt gerichtet hat, zeigt eine erschrecke­nde Gleichförm­igkeit und, ja, auch Banalität: Es geht in der Kultur ganz offenbar um nichts besser zu als in anderen Bereichen. Die Folge ist ein überaus schmerzhaf­ter Aufdeckung­s- und dann hoffentlic­h auch Heilungspr­ozess in Zeitlupe, der im Oktober des Vorjahres mit den Berichten über Weinsteins jahrzehnte­langen Übergriffe begann – und immer mehr durchaus prominente Bereiche oder Persönlich­keiten des Kulturlebe­ns betrifft. Von den Fernsehstu­dios zur Klassikwel­t, von der Popmusik zur Kunst, von den Theaterbüh­nen bis hin zur Schwedisch­en Akademie – das Muster ist immer ähnlich: Machthaber, in den allermeist­en Fällen Männer, missbrauch­en ihre Position, um Schwächere, zumeist Frauen, zu nötigen.

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Literatur wird heuer bei der Nobelpreis­vergabe fehlen, die anderen Preise sind nicht betroffen
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Bill Cosby, James Levine und Kevin Spacey
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