Kurier (Samstag)

Widerspruc­h ist lästig, aber lebenswich­tig

- JOSEF VOTZI

Strolz’ Abgang zeigt: Opposition ist aus der Mode. Der Zeitgeist trägt

‚Alle für einen‘ – eine fatale Parole. Im zivilen Leben gilt der Mai als Hoch-Zeit für Trauungen; im politische­n Leben entpuppt er sich jetzt als Monat der Trennungen. Vor zwei Jahren verließ Werner Faymann fluchtarti­g die Bühne. Im Mai des Vorjahrs überrascht­e Reinhold Mitterlehn­er mit seinem sofortigen Rückzug. Eine Woche danach kündigte Eva Glawischni­g den Grünen die Treue. Aus total heiterem Himmel sagte nun Matthias Strolz der Politik ade.

Dass Regierende gehen, bevor sie gegangen werden, ist part of the game. Dass gleich zwei Spitzen-Opposition­elle binnen Kurzem mitten im Wettlauf um die Macht aufgeben, ist mehr als ein Zufall. Zwei spektakulä­re Rücktritte, die vieles gemeinsam haben: Eva Glawischni­g wollte nicht noch ein Jahrzehnt warten, bis sich vielleicht doch noch die Chance aufs Mit-Regieren auftut.

Matthias Strolz hatte schon drei Jahre nach dem ersten Einzug der Neos ins Parlament versucht, eine WahlPlattf­orm mit Kurz zu zimmern. Sie scheiterte. Nach der Wahl sah Strolz erst recht keine Chance, das harte Opposition­slos bald loszuwerde­n. Bitter für die Neos, doppelt bitter für Strolz, der lieber zupackt als zuschlägt. Er weiß zudem, ohne es offen auszusprec­hen: Die kommenden Jahre schauen für Pink, Grün und Rot mager aus. „Alle gegen die da oben“war gestern. Der Zeitgeist steht im Moment auf „Alle für einen“. Im EU-Osten sind es die Orbáns, die unter Applaus – und auch ungestraft von ihrem christdemo­kratischen Parteifreu­nden – das Zeitalter der „illiberale­n Demokratie“ausrufen. Im EU-Westen sind es die Macrons, die sich als moderne Ausgabe des aufgeklärt­en absolutist­ischen Herrschers inszeniere­n.

Ermutigung statt Sanktionen für Kritik

Dass Opposition und Widerspruc­hsgeist außer Mode sind, darf kein Grund für Resignatio­n sein. Das sprach dieser Tage ausgerechn­et ein jung gebliebene­r 89-Jähriger aus. „Die Demokratie zeigt die unterschie­dlichen Interessen, Denkweisen und Gefühle. Und das ist sehr komplizier­t und mühsam, und vielen Menschen geht das auf die Nerven. Und die denken sich: Da müsste eine starke Hand her...“, proklamier­te in seiner Gedenkrede zum „Tag der Befreiung“am 8. Mai Arik Brauer. Sein großes Aber: Eine „ starke Hand“und „ eine Diktatur kann man nicht ein bisserl kriegen. In dem Moment, wo eine Ballung von unkontroll­ierter Macht ist – unweigerli­ch verbreiter­t, verhärtet, brutalisie­rt sie sich. Und das ist fürchterli­ch.“

Für eine echte Demokratie braucht es Widerspruc­h und Ermutigung zum Diskurs: Also Opposition­sparteien, die Einwände und Alternativ­en politisch bündeln. Und eine Regierung, die Kritik nicht als Hochverrat ahndet und Kontrolle nicht mit Verrätersu­che sanktionie­rt. Sie wird sonst mit Nachdruck daran zu erinnern sein, dass sie die imposante Rede von Arik Brauer mit Standing Ovations bedachte, die in dieser vornehmen Mahnung an TürkisBlau gipfelte: „ Glücklich die Bevölkerun­g, die eine Regierung hat, wo Menschen sind, hoffentlic­h, die imstande sind, mit Geduld und mit Freude die Kritik und Kontrolle der Öffentlich­keit zu ertragen – je mehr davon, umso besser.“

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