Viel Sound and Vision für Dancefloor-Melancholiker
Wiener Festwochen.
In die Jahre gekommen ist er, aber unverwüstlich und angenehm uneitel wirkt Bernard Sumner. Jedenfalls nicht wie einer, der mit der Band New Order, 1981 aus Joy Division hervorgegangen, Popgeschichte geschrieben und die Leere nach dem Punk vertont hat. Bis heute gilt „Blue Monday“als erfolgreichste Vinyl-Maxi-Single aller Zeiten.
„Anfang der 90er-Jahre war ich Alkoholiker und habe mir eines Tages geschworen, dass ich aus diesem Geschäft aussteigen muss“, sagt der 62-Jährige im KURIERGespräch und nippt am Wasserglas. Mit dem Alkohol, „abgesehen von einem Glas Champagner hin und wieder“, hat der Musiker aufgehört. Aber nicht mit New Order.
Ein Glück, dass er „vor einigen Jahren Roxy Music live auf Tournee erlebt“hat. Sumner: „Die waren zehn Jahre älter als wir und sensationell gut. Und das hat mir Mut gemacht.“
NewOrder, das britische Quintett, das sich „immer als eine Elektro-Rock-Band verstanden hat und immer einen anderen Zugang zur Elektronik als die Clubmusik-Produzenten hatte“, tritt heute und Sonntag bei den Wiener Festwochen im MuseumsQuartier auf.
Mit einer „Wall of Sound“
„(No,12k,Lg,18Wfw) New Order + Liam Gillick: So it Goes“(sic!) holt den Sound der 80er-Jahre zurück und erfindet ihn zugleich neu. „Das ist kein normales Konzert, sondern wir haben die alten Songs quasi orchestriert“, erklärte Leadsänger und Gitarrist Sumner. Also NewWaveundPostPunkmit Synthies, scheppernden Gitarren, Maschinenbeats und dem Bass als Melodieträger wie schon vor mehr als 20 Jahren. Plus eine „Wall of Sound“des Komponisten Joe Duddell.
Optisch eingekleidet hat die Show, bei der es ums „Dekonstruieren, Umdenken und Umbauen“ging, der britische Maler, Bildhauer und Objektkünstler Liam Gillick. Mit dem Ehrgeiz, die Zuschauer mit allen erdenklichen Visual-Arts-Finessen „in eine Art Paralleluniversum“eintauchen zu lassen.
Was ursprünglich ein Auftrag für das Manchester International Festival in den ehemaligen Granada-TV-Studios im Juli 2017 war, wurde nach Turin am5. Mai jetzt für Wien so redimensioniert und adaptiert, dass die Popveteranen mit einem 12-köpfigen Synthesizer-Orchester in einer architektonischen Installation ihren Backkatalog durchleuchten und remixen. Inklusive vier Songs der JoyDivision-Tage – der berühmteste aus jener Zeit ist wohl „Love Will Tear Us Apart“. Und das Debütalbum „Unknown Pleasures“, 1979 veröffentlicht, gilt heute als Meilenstein des britischen Postpunk.
„Wenn der Groove stimmt...“
Erklärtes Ziel der Show „So it goes...“war das „Dekonstruieren, Umdenken und Umbauen“von Material aus der gesamten Karriere von New Order und der Vorvergangenheit der Band. Wobei Sumner wie ein Handwerker oder Mechaniker spricht: „Wenn der Groove stimmt, dann habe ich so ein merkwürdiges Gefühl in meiner Wirbelsäule – als würde ich schweben. Das klingt verrückt, aber ich kann's nicht anders sagen. Dazu eine passende Basslinie und die harmonischen und melodischen Komponenten. Man baut es einfach zusammen wie man ein Haus baut.“
Weit hat er es gebracht, der Schulabbrecher aus einem Vorort von Manchester, der sich immer noch zu wundern scheint, dass er „es in Manchester geschafft hat, als Musiker Karriere zu machen – und nicht woanders.“
„Punk zu sein bedeutete damals, sich gegen die Superstars und Supergroups zu stellen. Gegen den pompösen Stadionrock, der die Menschen von der Musik abkoppelte. Punk wollte den Menschen die Musik zurückgeben“, sagt Sumner.
„Die Gitarristen waren damals alle Griffbrettartisten. Einer wollte den anderen an Schnelligkeit und Virtuosität übertreffen. Wir aber wollten zeigen, dass ein gut gebauter Song auch mit drei Akkorden funktioniert.“Übrigens treten auch New Order längst in Locations für ein Massenpublikum auf wie etwa in der Hollywood Bowl in Los Angeles.
Nach dem sehr dance-orientierten Studioalbum „Music Complete“(2015) und einer Liveaufnahme „Nomc15“auf 2 CDs gibt es „derzeit keine Pläne für Plattenaufnahmen“, sagt Sumner, der in einem Song jüngeren Datums „I feel restless“singt. „Die letzten sieben Jahre waren sehr arbeitsintensiv durch Tour- neen, meine Autobiografie unddas Projekt ‚So it goes...‘ “Die Visual Arts dazu bescherten Liam Gillick prompt einige Telefonanrufe von Interessenten aus der Popbranche. Aber der hat „alle Anfragen abgelehnt“. Er will sich jetzt wieder auf Ausstellungen in Korea und New York konzentrieren.