Eine geheimnisvolle Entführung in Libyen
BVT-Akt. Österreicher nach zehn Monaten frei
Im Jänner 2016 wurde ein Österreicher aus libyscher Haft entlassen. Doch diese offizielle Version des Außenamts stellt sich heute in einem anderen Licht dar. Ausgerechnet durch die aktuelle Affäre um den Verfassungsschutz wird dieser alte Fall neu aufgerollt. Denn plötzlich ist von einem Entführungsfall die Rede. Hintergrund soll ein Spionagekrimi gewesen sein, in den zwei Österreicher verwickelt waren. Während ein Verschleppter mithilfe des ungarischen Botschafters entkam, wurde Alexander H. zehn Monate in Libyen festgehalten. Mittendrin in der Agentengeschichte befindet sich der Hauptbelastungszeuge W., der die BVT-Causa ins Rollen brachte, sowie der Chef der libyschen Muslimbruderschaft.
Am 3. April 2018 hatte der in der Ära Helmut Kohl berühmt gewordene deutsche Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer einen Termin bei Außenministerin Karin Kneissl in Wien. Da die Ministerin kurzfristig keine Zeit hatte, überbrachte stattdessen der künftige Generalsekretär dem Deutschen den – verspäteten – Dank der österreichischen Regierung. Samt einer Entschuldigung, wie Schmidbauer sagt.
Der internationale Strippenzieher hat dem entführten Österreicher Alexander H., der von März2015bis Jänner 2016 in Libyen illegal weggesperrt war, mit seinen guten Kontakten das Leben gerettet und befreit. Die Hintergründe dieses Entführungsfalls – der sich vor allem um mögliche Spionage dreht – blieben im Dunkeln. Das Außenministerium freute sich nach der Freilassung, dass „diplomatischer Druck“aus Österreich erfolgreich war und H., der angeblich wegen unbekannter Verdächtigungen in Gefangenschaft war, freigelassen wurde.
Der BVT-Hauptzeuge W.
Durch KURIER-Recherchen kamkürzlich neueBewegung in den Fall. Aufgrund einer KURIER-Anfrage in der Causa BVT in Deutschland meldete sich Schmidbauer bei der Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft, um in diesem Ermittlungsverfahren auszusagen. Schmidbauer verbindet mit W., dem früheren BVT-Abteilungsleiter und heutigen Hauptbelastungszeugen in der Verfassungsschutzaffäre, ein gutes Vertrauensverhältnis. Denn W. spielt auch im Entführungsfall H. eine wichtige Rolle. „Aus meiner Sicht wird W. im BVT sehr übel mitgespielt“, gibt Schmidbauer bei der Staatsanwaltschaft zu Protokoll. „Dass er dadurch krank wurde, ist für mich nicht verwunderlich.“
Der Spionagekrimi beginnt eigentlich am 7. März 2015 mit der Entführung des Linzers Dalibor S. auf dem Öl- feld Al-Ghani durch die extremistische Gruppe „Wilayat Tarabulus“. Der Ex-UNO-Soldat wird mit acht Männern einer Ölfirma verschleppt.
Am 27. März, um zwei Uhr in der Früh, werden auch Alexander H., Mitarbeiter der zypriotischen Firma Argus Security, und sein Fahrer Moutaz auf dem Weg vom Nobelort Palm City zum Mitiga Airport von Tripolis in einer militärähnlichen Operation von der Gruppierung „El Majb“überwältigt. Diese steht dem libyschen Innenministerium nahe.
Rund zehn Monate wird H. mit einem Serben und zwei Jordaniern (ebenfalls ArgusMitarbeiter) nahe des Flughafens in Gefangenschaft gehalten.
Ein weiterer Österreicher mit angeblicher Nachrichtendienstanbindung kann sich hingegen in die österreichische Botschaft f lüchten. Er wird später heimlich vom ungarischen Botschafter in einem Diplomatenfahrzeug nach Tunesien gebracht.
Eine „Erpressung“?
Während ganz Österreich von Dalibor S. spricht, laufen im Hintergrund heftige Verhandlungen. Der ungarische Botschafter, der in Libyen die komplette EU repräsentiert, spielt die Hauptrolle, wie ein interner Argus-Bericht zeigt, der dem KURIER vorliegt. Die Libyer fordern vomBotschafter ein hochrangiges Treffen. Die Ungarn vermuten dahinter laut dem Argus-Bericht eine Erpressung der EU, um den Besuch einer offiziellen EU-Delegation zu erwirken.
H. wird fälschlicherweise vorgeworfen, libysche Stellungen verraten zu haben, die vom ägyptischen Militär bombardiert wurden.
Im Mai wird die UNO um Hilfe gebeten. „Es schaut aber aus, also ob die UN nicht in den Fall involviert werden möchte“, wird im Bericht der Argus notiert. Am 22. Mai kann der ungarische Botschafter direkt im libyschen Außenministerium erstmals mit den vier Gefangenen sprechen.
Doch die Sache wird zunehmend verfahrener. Ende Juli versucht ein österreichischer Diplomat im tunesischen Djerba offenbar eine „mögliche finanzielle Lösung“auszuloten.
Am 30. September 2017 hält Ex-Minister Schmidbauer im Haus der Wirtschaft in Wien einen Vortrag. Der langjährige Koordinator der deutschen Geheimdienste spricht auf Einladung von BVT-Mann W. über Cyberangriffe. Bei der Gelegenheit ersucht Sicherheitsdirektor Konrad Kogler den Ex-Staatsminister um seine Hilfe bei den Entführungen, darunter Dalibor S.
Vermittler gesucht
„Es ging um mehrere Personen, aber es war schnell klar, dass es primär um Alexander H. geht“, sagt Schmidbauer zum KURIER. Kohls früherer Mann für heikle Fälle hat gute Kontakte in Libyen. Er trifft daraufhin Ali al-Sallabi, den Chef der Muslimbrüder sowie den Chef des libyschen Geheimdienstes in Istanbul, und einen Verbindungsmann des Milizführers aus Misrata.
„Letztendlich waren die Muslimbrüder verantwortlich für die Freilassungen“, meint Schmidbauer. „Das Heeresnachrichtenamt hat nichts zur Freilassung beigetragen, aber so getan als ob das der Fall war. Das einzige Amt, das kooperiert hat, war das BVT.“Lösegeld sei keines bezahlt worden, sagt der Minister außer Dienst, weil das seine Grundbedingung für die Verhandlungen gewesen sei. Dass ihm aber das Außenamt nicht gesagt hat, dass die Libyer die Österreicher der Spionage verdächtigen, wurmt den früheren CDU-Politiker noch heute. „Hätte man das gewusst, hätte man die Verhandlungen ganz anders geführt“, heißt es aus Schmidbauers Umfeld.
Alexander H. und der Serbe Srdjan B. werden Mitte Jänner 2016 freigelassen. Bevor H. aus Libyen ausgeflogen wird, wird Schmidbauer von der Miliz aus Misrata und von H. telefonisch kontaktiert. „Sie wollten wissen, ob der Abtransport in Ordnung geht“, sagt Schmidbauer. Denn diesen übernahmen nun die Österreicher.
Einen Tag später bedankt sich BVT-Mann W. beim libyschen Geheimdienstkontaktmann – mit einem Essen beim Italiener in der Wiener Annagasse. Eineinhalb Jahre später trifft die Nachricht ein, dass Dalibor S. vermutlich schon 2015 getötet wurde. Ein Kontakt zu den Entführern konnte nie hergestellt werden.