„Die können uns so viel Kaviar anbieten, wie sie wollen“
Edi Rama. Albaniens Premier über den Einfluss Russlands in der Region und faire EU-Beitrittschancen
„Meine Lektion eins von europäischen Prozessen ist: Man bekommt alles immer nur in der allerletzten Minute“, sagt Albaniens Premierminister Edi Rama – das wäre Ende Juni. Dann könnte die EU, wie Rama hofft, Albanien und Mazedonien Grünes Licht für den Start von EU-Beitrittsverhandlungen geben. KURIER: Frankreichs Präsident bremst und fordert: Vor der Aufnahme neuer Länder muss sich die EU von innen reformieren. Verstehen Sie seine Skepsis? Edi Rama: Europa muss sich verändern, und die Balkanländer müssen sich verändern, ich verstehe das. Was wir fordern, ist ein Rezept. Die Beitrittsgespräche sind das Rezept für eine neue Therapie, um die Wunden und Probleme der Vergangenheit zu behandeln. Indem die EU Beitrittsgespräche eröffnet, hat sie viel mehr Druckmöglichkeiten auf die Kandidaten. Der Beitrittsprozess ist für uns ein staatsbildender Prozess. Natürlich sind wir noch nicht, wo wir sein wollen. Aber um dorthin zu kommen, brauchen wir Beitrittsgespräche. Sonst wäre das wie eine Hochzeit, über die man nicht spricht. Wie soll man sich darauf vorbereiten? Hält die EU die sechs Westbalkanländer trotz Beitrittsangeboten doch auf große Distanz?
Man pocht auf mehr Bekämpfung von Verbrechern und Organisierter Kriminalität. Albanien hat mehr als jedes andere Land getan vor dem Beginn der Beitrittsgespräche. Nehmen Sie nur unsere Justizreform: In den Fortschrittsberichten der EU wird sie als Modell für alle Länder der Region empfohlen. Kein Land vor uns hat je so etwas gemacht: Wir haben die Verfassung geändert, wir haben ausländische Gremien akzeptiert. Man hat uns gesagt: Ihr müsst eure Richter und Staatsanwälte durchleuchten, und dann kriegt ihr das OK für Beitrittsgespräche. Wir haben es gemacht, und jetzt wirft man uns vor, es gibt zu viel Verbrechen und Korruption? Was für einen besseren Weg, dagegen zu kämpfen, gibt es, als ein total neues Justizsystem? In Albanien war es nie das Problem, Leute zu verhaften, sondern sie zu verurteilen. Aber man kann immer sagen: Ihr müsstet noch mehr tun. Wie sieht dieses Durchleuchtungsverfahren aus?
Seit drei Monaten haben wir ein Spezialtribunal, wo jeder Richter und Staatsanwalt sein Vermögen offen legen muss. Hat er zwei Häuser? Studiert sein Kind an einer teuren Uni in London? Woher kommt das Geld dafür? 27 Richter mussten schon gehen, 17 weitere sind gleich gar nicht zum Verfahren aufgetaucht. 350 Polizisten haben den Dienst verlassen. Die Schwergewichte unseres Landes werden jetzt überprüft, die bisher Unantastbaren. Jetzt haben wir eine sehr harte Revolution, basierend auf Reformen. Geht es beim Beitrittsangebot der EU an die sechs Westbalkanstaaten darum, den Einfluss Russlands abzuwehren?
Das soll kein Dilemma werden zwischen mehr Reformen oder mehr Kaviar. Das ist alles egal, die können uns so viel Kaviar anbieten, wie sie wollen. Während der fünfzig Jahre Kommunismus wurde uns erzählt: Der Himmel ist rot, das Leben wird wunderbar sein. Der Fortschritt ist groß, aber wir müssen noch viel tun. Jetzt haben wir den blauen Himmel, man sagt uns: Das Leben wird wunderbar sein, Fortschritte wurden gemacht aber es wird noch viel zu tun sein. Das wissen wir, aber der Prozess sollte fair sein. Wir stehen draußen vor der Tür und klopfen seit Jahren für den Eintritt.