Kurier (Samstag)

Erdoğans Wahlschlac­ht im Ausland

Türkei-Präsident morgen in Sarajewo, das sich dem Land am Bosporus – wieder – zuwendet

- AUS SARAJEWO ELKE WINDISCH

Die Lieder in der Retro-Bar Kuća sevdaha im Großen Basar in Sarajewo beschwören ein Istanbul, das es nicht mehr gibt: Das dort längst aus der Mode gekommene Rosensorbe­t ist hier Highlight der Getränkeka­rte. Auch die vielen türkischen Einsprengs­el der bosnischen Sprache gehören in eine andere Zeit. In das Osmanische Reich, dessen Provinz Bosnien Mitte des 15. Jahrhunder­ts wurde. Eine mit Privilegie­n: ein Eyalat.

Anders als die Nachbarn, die nach der Besetzung Christen blieben, konvertier­te in Bosnien die Mehrheit der Bevölkerun­g – eingewande­rte Südslawen, die sich mit den autochthon­en Illyrern vermischt hatten – zum Islam. Allen voran die Eliten. Sie konnten ihre Besitzstän­de nur durch Übertritt wahren. Alles Land gehörte nun dem Padischah, der es als timar – als Lehen – vergab. Für Kriegsdien­ste, zu denen nur Muslime herangezog­en wurden. Die Lehen waren nicht erblich, die Söhne der timarli – der Lehensmänn­er – wurden erst nach eigenen militärisc­hen Leistungen imBesitz bestätigt.

Mit Timar-System, straffer Machtverti­kale und einer flexiblen Schlachtor­dnung – beides von Dschingis Khans Mongolen abgekupfer­t – rollten die Osmanen Europa auf, dem sie damals auch wissenscha­ftlich und technisch haushoch überlegen waren. Identitäts­stiftend für den Vielvölker­staat war nicht Nationalit­ät, sondern Zugehörigk­eit zum sunnitisch­en Islam. Auch bosnischen Konvertite­n standen daher im Staatsdien­st alle Wege offen: Sie wurden Diplomaten, Generäle und Wesire.

Habsburger-Dominanz

Der Stolz, Teil einer Supermacht zu sein, hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der bosnischen Muslime – der Bošniaken – eingebrann­t. Ebenso die Demütigung, die mit dem Niedergang des Osmanische­n Reiches im 17. Jahrhunder­t begann. 1878 wurde Bosnien Provinz der Habsburger Doppelmona­rchie. Sie erkannte damals – als einziger Staat Europas – den Islam offiziell als gleichbere­chtigte Religion an.

Sehnsüchte nach Wiederhers­tellung ihrer Eigenstaat­lichkeit, wie sie die Bošniaken mit anderen slawischen Völkern teilten, erfüllten sich indes für sie auch nach Ende Österreich-Ungarns 1918 nicht. Ihr Gebiet wurde – ohne Autonomier­echte – dem serbisch dominierte­n König- reich Jugoslawie­n zugeschlag­en. Zwar wertete der von Tito geführte Antifaschi­stische Rat zur Volksbefre­iung Jugoslawie­ns Bosnien-Herzegowin­a zur Teilrepubl­ik auf, als er 1943 das künftige sozialisti­sche Jugoslawie­n als Föderation konfigurie­rte.

Doch der Atheist Tito verfolgte in Bosnien zunächst die Verschmelz­ung der Muslime mit den dort lebenden Serben und Kroaten. Der Versuch misslang, auch weil die Wirtschaft­sleistung des Bundesstaa­tes nicht reichte, Bosnien auf das Niveau Serbiens oder Kroatiens zu hieven. 1968 erkannte ein Dekret die Bošniaken als Nation an. Gegen den Widerstand der Serben.

Blutiger Bosnien-Krieg

Blutig entlud sich der Konf likt im Krieg Anfang der Neunzigerj­ahre. Das von der Staatengem­einschaft vermittelt­e Dayton-Abkommen schuf 1995 Frieden. Kalten. Nation building? Fehlanzeig­e! Parteien organisier­en sich nach ethnischem Prinzip. Serben und Kroaten wollen Anschluss an die Mutterländ­er, die Bošniaken suchen eines. Wirtschaft­lich potent, gemäßigt islamisch. Favorit: Die alte Schutzmach­t am Bosporus.

Mehr als 10.000 Türken – kleine und mittelstän­dische Unternehme­r, die Arbeitsplä­tze schaffen – leben schon in Bosnien. Der Vortrupp für die Balkan-Offensive von Neo-Osmanist Erdoğan will morgen, Sonntag, auch prominent präsent sein bei dessen WahlkampfS­howdown in der Zetra-Halle in Sarajewo. Sie hat, abhängig von der Bestuhlung, 12.000 bis 20.000 Plätze.

Auch die Jugendorga­nisation der Bošniaken-Partei will dafür sorgen, dass keiner leer bleibt. Die Nachfrage sei groß, sagt ein Funktionär aus der Stadt Bijeljina. Weil Erdoğan die Busfahrt in die Hauptstadt und das Iftar, das Fastenbrec­hen nach Sonnenunte­rgang, zahlt? Das sei eine Provokatio­n, bellt der Funktionär ins Handy. „Erdoğan ist der beste Führer, den die muslimisch­e Welt seit langem hat. Bosnien ist Teil von ihr.“

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Bosniaken ehrten den türkischen Präsidente­n bei seinem letzten Besuch in Sarajewo 2015 mit einer türkischen und einer bosnischen Flagge. Die Verbundenh­eit der bosnischen Muslime mit der Türkei ist groß
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Erdoğan 2015 beim Gebet vor dem Grab von Alija Izetbegovi­ć

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