„Der große Marsch“von Wolfram Lotz: Absurde Talkshow über den Sozialstaat
Kritik. Wolfram Lotz fordert Unmögliches vom Theater – und schlägt in seinen Stücken, darunter „Die lächerliche Finsternis“, faszinierende Volten. Auch „Der große Marsch“, 2011 uraufgeführt, stellt eine enorme Herausforderung dar. Im dritten Teil zum Beispiel ist kein Publikum mehr vorhanden – und auf vier Rolltreppen, angeordnet wie in einem Bild von M.C. Escher, fahren die Figuren immerzu aufwärts.
Die österreichische Erstaufführung, eine Produktion der Musik und Kunst Privatuniversität Wien, im Kasino des Burgtheaters am Schwarzenbergplatz, versucht erst gar nicht, den absurden An- weisungen gerecht zu werden: Regisseurin Martina Gredler begnügt sich, das Gedankenkunterbunt über den Sozialstaat auf eine TV-Talkshow herunterzubrechen.
Ergänzt wird die amüsante, decouvrierende und auch bitterböse Nummernrevue – eine Moderatorin begrüßt nacheinander illustre Gäste – um heimische Auswüchse. Statt des monströsen Buffets gibt es türkise Punschkrapferln: innen braun, wie wir auch von Thomas Bernhard wissen. Das Rätselraten über einen unleserlichen Satz („Alle sind Brei“oder „Alle sind frei!“) hingegen hat man nicht austrifiziert. Wiewohl es sich – mit Hinweis auf Ernst Jandl („Österreich isst Brei“) – durchaus angeboten hätte.
Im Zentrum stehen ohnedies die sechs Schauspielschüler, die Proben ihres Talents abgeben und gekonnt Gabaliers Hakenkreuz-Pose nachmachen. Da jeder seinen Text so sprechen soll, wie er es für richtig hält, reden die Gäste eben sächsisch oder schwäbisch, steirisch oder schweizerisch, Kristóf Gellén parliert auch in breitem AmiEnglisch. Zu imponieren verstanden Eva Maria Schindele als erste Blondinchen-Moderatorin im saftigen Fleisch- Outfit (Kostüme: Anna-Luisa Vieregge) und Lukas Weiss als echt Wienerischer Prometheus.