Kurier (Samstag)

Ein Gefangener im ewigen Kreislauf der Kriegsgewa­lt

Akram Khans „Xenos“im Festspielh­aus

- – PETER JAROLIN

Einsam und (emotional) verwundet liegt er im Schützengr­aben. Ständiges Gefechtsfe­uer peitscht auf seinen Körper ein. Sand, Lehm, Steine, Dreck – der namenlose Soldat indischer Herkunft hat alles verloren. Seine kulturelle Vergangenh­eit, seine Gegenwart und wohl auch seine Zukunft. Denn der Krieg kennt keine Gnade.

Und es ist kein so weiter Weg vom Blutbad des Ersten Weltkriegs hin zu heutigen Massakern im Nahen Osten, wo jeder Kämpfer zu einem Fremden seiner selbst wird.

So fremd

„Xenos“(„Der Fremde“), so nennt der großartige Tänzer und Choreograf Akram Khan sein nach eigenen Angaben letztes abendfülle­ndes Solo als Performer, das im Festspielh­aus St. Pölten Station machte und in jeder Hinsicht unter die Haut geht.

Anfangs scheint noch alles gut. Zu indischer Musik übt sich Khan im klassische­n Kathak, dem Tanz seiner Heimat. Es wird ausdruckss­tark musiziert und getanzt, ehe sich die von Mirella Weingarten ersonnene Bühne plötzlich zu einer Rampe erhebt; vorhandene Stühle und andere Devotional­ien der Zivilisati­on verschwind­en. Der Mensch verliert im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter seinen Füßen.

Es herrscht Krieg. Kampf überall. Das Individuum ist hier nur ein Spielball. Der Lichtstimm­ungen, der Klänge. Aber Khan ringt. Um Würde, um sein Menschsein, sein (Da-)Sein. Vergeblich, denn Soldaten gehen durch alle Zeiten, sind Opfer und Täter zugleich, mutieren letztlich zu einem anonymen Körper, der seine Blessuren nicht länger verbergen kann.

So intensiv

Akram Khan übersetzt dies mit seinen fünf exzellente­n Musikern in eine sehr reduzierte, dadurch jedoch umso wirksamere Bildsprach­e. Da besteht keine Gefahr, dass der Performer in Richtung (Bollywood-)Kitsch abdriftet, jede Geste wird zum verzweifel­ten Lebensaufs­chrei.

Khans Bewegungsv­okabular spannt sich dabei von energetisc­hen Ausbrüchen bis zur melancholi­schen Re signation. Kathak als Reminiszen­z an eine verlorene Welt; klettern, kauern, kuschen als Ausdruck allgegenwä­rtiger Bedrohung. Khan zelebriert das ohne Pathos in einer Intensität, die als lakonische Bestandsau­fnahme der Welt durchgeht. Schmerzlic­h und nachhaltig.

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Nicht gesprengte Ketten: Akram Khan als namenloser Fremder

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