Schlaflos durch Schlaf-App
Vermessen: Wann Self-Tracker sinnvoll sind – und wann nicht.
Sie liegen mehr denn je im Trend: Mini-Sensoren, Smartphone-Apps und Tracking-Geräte, die die eigene Fitness und das Wohlbefinden überwachen. Gesundheitsbezogene Apps zeigen hohe Wachstumsraten, heißt es in einer großen Studie zum Thema „Selbstvermessung“der Schweizer Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TASwiss). Vermessen werden mittlerweile nicht nur Pulsfrequenz, zurückgelegte Schritte oder Höhenmeter, sondern etwa auch der Nachtschlaf oder Stress.
Menschen, die regelmäßig solche Tools verwenden, werden von Trendforschern „Selbstoptimierer“genannt. „Es sind Personen, denen bewusst ist, dass sie selbst etwas zu ihrem Wohlbefinden beitragen können. Das bezieht sich heute auch auf Körper, Geist und Seele“, sagt
„Gerade für Menschen mit Schlafstörungen sind solche Tools kontraproduktiv.“Christopher Willis Sportpsychologe
die deutsche Trendforscherin Corinna Mühlhausen, die regelmäßig Reports zum Thema „gesunder Lebensstil“veröffentlicht. Man „coacht“sich also selbst. Mühlhausen ist überzeugt, dass die Selbstoptimierer-Community stetig wächst. „Weil es heute auch darum geht, nicht nur höher, schneller und weiter zu kommen, sondern – im Gegenteil: langsamer, bewusster, ruhiger zu werden. Damit hat sich die Gruppe derer, für die solche Tools interessant sind, erweitert.“
Gereizt durch Tracker
Der Trend hat allerdings auch seine Tücken. Eine Studie, die vor Kurzem im „Journal of Clinical Sleep Medicine“ver- öffentlicht wurde, berichtet von einer neuen Störung namens „Orthosomnia“.
Davon betroffen sind Menschen, die Schlaftracker benützen, um ihren Nachtschlaf zu analysieren. Der gewünschte Effekt, besserer Schlaf, bleibt laut Studienautoren allerdings aus. Eher passiert das Gegenteil: Patienten berichten, dass sie aufgrund der Tracker-Daten an sich selbst Schlafstörungen diagnostizieren und deshalb zum Arzt müssen. Die Daten, die die App ausspuckt, wirken sich also auf das subjektive Erleben des Schlafes und die dadurch empfundene Erholung negativ aus. So wird etwa ein Fall geschildert, in dem ein Mann berich- tet, dass er sich immer gereizter und unkonzentrierter fühle und Tagesmüdigkeit verspüre. Der Tracker würde ihm schließlich sagen, er hätte zu wenig geschlafen. Er erzählte auch vom Druck, den die App auf ihn mittlerweile ausübe. „Gerade für Menschen mit Schlafstörungen sind solche Tools kontraproduktiv, weil es beim Schlaf viel eher darum geht, loszulassen und abzuschalten. Ein Tracker versetzt in eine Leistungssituation. Was im Sport durchaus gut sein kann“, sagt der Sportpsychologe Christopher Willis.
Ähnliches gilt für StressTracker (siehe Kolumne unten), bei denen dazukommt, dass sie technisch noch nicht ge- nug ausgereift sind. Stress ist eben ein hochkomplexes Phänomen, das die derzeit auf dem Markt befindlichen Systeme nicht in seiner Gesamtheit erfassen können. Noch nicht.
Stress schwer messbar
„Stress ist auch mit einer emotionalen Komponente verbunden, etwa mit dem subjektiven Gefühl der Überforderung. Das über physiologische Marker sichtbar zu machen, ist möglich, aber sehr komplex und muss individuell differenziert werden. Hier ein Tool zu entwickeln, das für jedermann nach Kauf leicht einsetzbar ist, ist aus meiner wissenschaftlichen Perspektive derzeit schlicht- weg nicht möglich, weil die Qualität der Rückmeldungen vielfach noch zu schlecht sind“, sagt Björn Krenn vom Institut für Sportwissenschaft, Abteilung Sportpsychologie, Uni Wien.
Die Forscher der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die die erwähnte SelbstvermessungsStudie für TA-Swiss machten, fordern deshalb die Einführung eines Qualitätslabels für Tracker im Lifestylebereich. Konsumentenschutz- und Patientenorganisationen müssten diese Tools nicht nur auf Datenqualität oder Nutzerfreundlichkeit abklopfen, sondern auch das heikle Thema Datenschutz berücksichtigen.
Generell begrüßen Sportpsychologen aber die Nutzung von Self-Trackern. „Für den Leistungs-, aber auch therapeutischen Sport sehe ich das positiv, weil sie das Durchhaltevermögen, die Motivation und den Spaßfaktor unterstützen“, sagt Willis. Außerdem können diese Tools, richtig eingesetzt, das Gefühl für den eigenen Körper und dessen Signale fördern. Im Sinne eines Lernprozesses. „Hier muss ich aber schauen, was mir die Daten sagen, wie ich mich fühle und wie das zu meinem Empfinden passt. Es geht darum, die Tracker als Parallelsystem zu nützen, aber nicht die Verantwortung an das Gerät zu delegieren“, sagt Krenn.