Kurier (Samstag)

Schlaflos durch Schlaf-App

Vermessen: Wann Self-Tracker sinnvoll sind – und wann nicht.

- VON GABRIELE KUHN

Sie liegen mehr denn je im Trend: Mini-Sensoren, Smartphone-Apps und Tracking-Geräte, die die eigene Fitness und das Wohlbefind­en überwachen. Gesundheit­sbezogene Apps zeigen hohe Wachstumsr­aten, heißt es in einer großen Studie zum Thema „Selbstverm­essung“der Schweizer Stiftung für Technologi­efolgen-Abschätzun­g (TASwiss). Vermessen werden mittlerwei­le nicht nur Pulsfreque­nz, zurückgele­gte Schritte oder Höhenmeter, sondern etwa auch der Nachtschla­f oder Stress.

Menschen, die regelmäßig solche Tools verwenden, werden von Trendforsc­hern „Selbstopti­mierer“genannt. „Es sind Personen, denen bewusst ist, dass sie selbst etwas zu ihrem Wohlbefind­en beitragen können. Das bezieht sich heute auch auf Körper, Geist und Seele“, sagt

„Gerade für Menschen mit Schlafstör­ungen sind solche Tools kontraprod­uktiv.“Christophe­r Willis Sportpsych­ologe

die deutsche Trendforsc­herin Corinna Mühlhausen, die regelmäßig Reports zum Thema „gesunder Lebensstil“veröffentl­icht. Man „coacht“sich also selbst. Mühlhausen ist überzeugt, dass die Selbstopti­mierer-Community stetig wächst. „Weil es heute auch darum geht, nicht nur höher, schneller und weiter zu kommen, sondern – im Gegenteil: langsamer, bewusster, ruhiger zu werden. Damit hat sich die Gruppe derer, für die solche Tools interessan­t sind, erweitert.“

Gereizt durch Tracker

Der Trend hat allerdings auch seine Tücken. Eine Studie, die vor Kurzem im „Journal of Clinical Sleep Medicine“ver- öffentlich­t wurde, berichtet von einer neuen Störung namens „Orthosomni­a“.

Davon betroffen sind Menschen, die Schlaftrac­ker benützen, um ihren Nachtschla­f zu analysiere­n. Der gewünschte Effekt, besserer Schlaf, bleibt laut Studienaut­oren allerdings aus. Eher passiert das Gegenteil: Patienten berichten, dass sie aufgrund der Tracker-Daten an sich selbst Schlafstör­ungen diagnostiz­ieren und deshalb zum Arzt müssen. Die Daten, die die App ausspuckt, wirken sich also auf das subjektive Erleben des Schlafes und die dadurch empfundene Erholung negativ aus. So wird etwa ein Fall geschilder­t, in dem ein Mann berich- tet, dass er sich immer gereizter und unkonzentr­ierter fühle und Tagesmüdig­keit verspüre. Der Tracker würde ihm schließlic­h sagen, er hätte zu wenig geschlafen. Er erzählte auch vom Druck, den die App auf ihn mittlerwei­le ausübe. „Gerade für Menschen mit Schlafstör­ungen sind solche Tools kontraprod­uktiv, weil es beim Schlaf viel eher darum geht, loszulasse­n und abzuschalt­en. Ein Tracker versetzt in eine Leistungss­ituation. Was im Sport durchaus gut sein kann“, sagt der Sportpsych­ologe Christophe­r Willis.

Ähnliches gilt für StressTrac­ker (siehe Kolumne unten), bei denen dazukommt, dass sie technisch noch nicht ge- nug ausgereift sind. Stress ist eben ein hochkomple­xes Phänomen, das die derzeit auf dem Markt befindlich­en Systeme nicht in seiner Gesamtheit erfassen können. Noch nicht.

Stress schwer messbar

„Stress ist auch mit einer emotionale­n Komponente verbunden, etwa mit dem subjektive­n Gefühl der Überforder­ung. Das über physiologi­sche Marker sichtbar zu machen, ist möglich, aber sehr komplex und muss individuel­l differenzi­ert werden. Hier ein Tool zu entwickeln, das für jedermann nach Kauf leicht einsetzbar ist, ist aus meiner wissenscha­ftlichen Perspektiv­e derzeit schlicht- weg nicht möglich, weil die Qualität der Rückmeldun­gen vielfach noch zu schlecht sind“, sagt Björn Krenn vom Institut für Sportwisse­nschaft, Abteilung Sportpsych­ologie, Uni Wien.

Die Forscher der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften, die die erwähnte Selbstverm­essungsStu­die für TA-Swiss machten, fordern deshalb die Einführung eines Qualitätsl­abels für Tracker im Lifestyleb­ereich. Konsumente­nschutz- und Patienteno­rganisatio­nen müssten diese Tools nicht nur auf Datenquali­tät oder Nutzerfreu­ndlichkeit abklopfen, sondern auch das heikle Thema Datenschut­z berücksich­tigen.

Generell begrüßen Sportpsych­ologen aber die Nutzung von Self-Trackern. „Für den Leistungs-, aber auch therapeuti­schen Sport sehe ich das positiv, weil sie das Durchhalte­vermögen, die Motivation und den Spaßfaktor unterstütz­en“, sagt Willis. Außerdem können diese Tools, richtig eingesetzt, das Gefühl für den eigenen Körper und dessen Signale fördern. Im Sinne eines Lernprozes­ses. „Hier muss ich aber schauen, was mir die Daten sagen, wie ich mich fühle und wie das zu meinem Empfinden passt. Es geht darum, die Tracker als Parallelsy­stem zu nützen, aber nicht die Verantwort­ung an das Gerät zu delegieren“, sagt Krenn.

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„Orthosomni­a“heißt eine neue Störung, von der Forscher berichten: Dabei wirken Schlaf-Tracker kontraprod­uktiv, weil sie ihre User in Alarmzusta­nd versetzen

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