Neue Attacke gegen May macht Parteitag zum Überlebenskampf
Druck auf Premierministerin. Vor dem am Sonntag beginnenden Parteitag der regierenden britischen Konservativen bringt sich Erzfeind Johnson in Stellung.
Nichts an der Attacke war überraschend, nicht der Zeitpunkt, zwei Tage vor Eröffnung des Parteitages, nicht die Taktik: Boris Johnson, vor wenigen Wochen mit großem Theaterdonner abgetretener Außenminister, hatte sich in seiner Quasi-Hauszeitung, dem streng konservativen telegraph, wieder einmal die Titelseite reservieren lassen. Dort drosch der exzentrische Politik-Star gewohnt wortgewaltig auf Premierministerin Theresa May und ihre Pläne für den britischen EU-Ausstieg ein. Mit ihrer rückgratlosen Haltung habe sich die Regierungschefin von den EUVerhandlern vorführen lassen. Das Ergebnis sei nichts anderes als eine „intellektuelle und moralische Erniedrigung“für Großbritannien. Auch die Einwilligung Mays in die von der EU verlangte Abschlusszahlung vor dem britischen Austritt sei eine Katastrophe.
Johnson war einer der führenden Köpfe der Kampagne für den Brexit vor der Volksabstimmung 2016 und macht sich seither für den „harten Brexit“stark, also den Abbruch aller Brücken zur EU. In seinem telegraph- Kommentar plädiert er für ein Handelsabkommen Großbritanniens mit der EU, so wie es Kanada ausgehandelt hat.
Offene Herausforderung
Aber Johnson geht es nicht um technische Details, sondern schlicht um einen politischen Schachzug. Wenn am Sonntag der Parteitag der Konservativen in Birmingham eröffnet wird, wird das Thema Brexit im Mittelpunkt stehen – und Premierministerin May unter Beschuss. Sie hatte vor dem Sommer ihren Vorschlag für die Verhandlungen mit der EU durchgesetzt, gegen massiven Widerstand in Regierung und Partei – angeheizt von Boris Johnson. Doch der mühsam ausgehandelte Kompromiss stieß bei der EU auf offene Ablehnung. Den maßgeschneiderten Zugang zur EU-Freihandelszone, wie ihn May anpeilte, wollte man den Briten auf keinen Fall zugestehen.
Jetzt muss sich May in der kommenden Woche als Verliererin vor ihren Parteitag stellen und um Unterstützung für weitere Verhandlungen mit Brüssel bitten – mit mehr als ungewissem Ausgang. Der harte Brexit, Schreckgespenst vor allem der britischen Wirtschaft, rückt bedrohlich näher. Zugleich aber sehen die überzeugten EU-Gegner ihre Stunde gekommen, umauf demParteitag nicht nur den Verhandlungsplan der Premierministerin, sondern sie selbst gleich dazu aus dem Weg zu räumen – und Johnson hat sich mit seiner Attacke im telegraph erneut an deren Spitze gestellt.
Brexit-müde Briten
Der Machtkampf bei den regierenden Konservativen eskaliert. Die oppositionelle Labour-Partei will das nützen und drängt auf Neuwahlen. Eine überzeugende Strategie für den Umgang mit der EU hat auch sie nicht anzubieten.Die Parteiführung mit Jeremy Corbyn verspricht Neuverhandlungen und einen sanften Brexit, der Großbritannien den Zutritt zu den EU-Märkten sichert. Zugleich aber drängt eine wachsende Gruppe in der Partei darauf, den Brexit einfach abzublasen und in der EU zu bleiben – und trifft dabei offensichtlich die Stimmung in der Bevölkerung. Jüngste Umfragen zeigen eine knappe Mehrheit für den Verbleib in der EU.