Schatten über Erdoğans Versöhnungsbesuch
Deutschland.
Für Sekunden muss ihn Recep Tayyip Erdoğan aushalten – den Anblick eines Mannes, auf dessen T-Shirt eine klare Forderung steht: „Pressefreiheit für die Journalisten in der Türkei“. Kurz darauf wird Ertugrul Yigit, ein in Deutschland lebender Erdoğan-Kritiker, der während der Pressekonferenz fotografierte, von BKABeamten abgeführt. So grimmig der Präsident bisher schaute, nun huscht ein Lächeln über sein Gesicht.
Abgeschirmt
Stunden zuvor: Wer am Vormittag in Berlin zwischen Brandenburger Tor und Bahnhof unterwegs ist, muss sich einen Weg zwischen Absperrungen und Ausweiskontrollen bahnen. Vor dem Hotel Adlon weht die türkische Fahne, kurz vor 9.30 Uhr rollt die Limousine des Präsidenten vor. Ein paar Erdoğan-Fans wollen ihm zuwinken, kommen aber nicht nahe genug. Ebenso seine Gegner, die in der Stadt demonstrieren.
Wie viel Erdoğan davon mitbekommt, ist fraglich. Das Kanzleramt ist abgeschirmt, Journalisten kommen nur per Busshuttle hin. Kurz steht die Pressekonferenz gar in der Schwebe. Erdoğan drohte angeblich mit einer Absage, sollte CanDündarerscheinen. Der Ex-Chefredakteur der regierungskritischen Cumhuriyet lebt im Berliner Exil und ist für die Zeit akkreditiert, sagt seine Teilnahme dann doch ab. Er wolle dem Präsidenten „keine Ausrede liefern, sich den Fragen kritischer Journalisten nicht zu stellen“.
Tiefe Differenzen
Mit fast halbstündiger Verspätung treten Erdoğan und die Kanzlerin schließlich vor die Presse – und würdigen sich keines Blickes. Vor Monaten warf er ihr noch NaziMethoden vor, da er im Wahlkampf nicht in Deutschland auftreten durfte. Merkel hat dies nicht vergessen. Sie weiß auch, dass er nicht hier ist, um sich zu entschuldigen, sondern weil er Freunde braucht: Mit den USA liegt er über Kreuz, die türkische Wirtschaft steckt in der Krise. Aus Sicht der Kanzlerin und des Bundespräsidenten ergibt sich durchaus eine Chance, vielleicht ihn etwas einzuhegen. Man hat aber auch Interesse an einer wirtschaftliche stabilen Türkei, erklärt Merkel. Und hebt Gemeinsamkeiten hervor: Terrorbekämpfung, Partnerschaft in der NATO und Fragen zu Migration. Im Oktober wolle man mit den Präsidenten Frankreichs, Russlands und der Türkei über Syrien beraten.
Dann aber spricht sie doch aus, was von Anfang an in der Luft lag: Es gebe noch immer „tief greifende Differenzen“mit der Türkei hinsichtlich der Themen Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit, erklärt Merkel. Auch mit Blick auf die fünf deut- schen Staatsbürger, die aus politischen Gründen in Haft sind. Sie dränge darauf, dass diese „Fälle möglichst schnell gelöst werden“. Darauf zielen auch die Fragen deutscher Journalisten an Erdoğan ab.
Ob er denn überhaupt wisse, wer der Mann sei, dessen Freilassung er fordere, fragt er einen Reporter. Die Justiz in seinem Land sei unabhängig, deren Entscheidungen habe man zu respektieren, so Erdoğan. In Deutschland hielten sich zudem „Tausende Mitglieder der PKK-Terrororganisation“auf, ebenso „Hunderte“Anhänger der Gülen-Bewegung, die gegen ihn geputscht hätten. Er fordert ihre Auslieferung, auch die von Journalist Dündar, der ein Spion sei. Merkel hält dagegen: „Dass es eine Kontroverse im Fall Dündar gibt, ist kein Geheimnis.“Sie verurteile aber das Vorgehen gegen ihn und andere Redakteure.
Mahnung beim Bankett
Weniger kritisch zeigte sich die Regierung bei der Abführung des Journalisten Yigit. Sprecher Seibert: „Wir halten es bei Pressekonferenzen im Kanzleramt wie der Deutsche Bundestag: keine Demonstrationen oder Kundgebungen politischer Anliegen“. Nachsatz: „AuchwenndasAnliegen berechtigt ist.“
Nicht nur den Eklat musste Erdoğan, der sich von seiner Berlin-Visite einen Neuanfang erhofft, aushalten. Präsident Steinmeier äußerte später beim Staatsbankett Sorge um die inhaftierten deutschen Staatsbürger und Journalisten. Und wies daraufhin: „Ein Besuch allein könne keine Normalität herstellen.“