Wie der Vater eines toten Studenten die politische Elite herausfordert
Ungeklärter Tod. 18 Uhr. Hauptplatz von Banja Luka, der Hauptstadt des serbischen Landesteils von Bosnien. Auf dem Platz steht eine eineinhalb Meter große Faust aus Holz, davor Kerzen, Blumen, Fotos. Auf den Bildern ist das Gesicht David Dragičevićs zu sehen, einem 21-jährigen Studenten aus Banja Luka. Auch an diesem Tag sind ein paar Dutzend Menschen gekommen. Manche tragen T-Shirts und Ketten mit Davids Gesicht. Manche haben Poster in der Hand, auf denen „Pravda za Davida“steht. Gerechtigkeit für David.
David Dragičević war an einem Samstagabend im März mit seinen Freunden unterwegs. Von der Tour durch Bars von Banja Luka ist er nie zurückgekehrt. Tagelang suchten seine Angehörigen nach dem jungen Mann – bis sechs Tage später seine Leiche in einem Fluss gefunden wurde. Die Ermittler gaben als Todesursache einen Unfall an, er sei in dem Abwasser ertrunken. Davor soll er Marihuana und LSD konsumiert und außerdem einen Einbruch verübt haben.
Nichts davon sei wahr, sagen die geschiedenen Eltern von David. Der Vater geht seither jeden Tag auf den Hauptplatz von Banja Luka, um für die Aufklärung des – er ist sicher – Mordes an seinem Sohn zu demonstrieren. Die Mutter ließ heimlich einen Drogentest machen – LSD wurde nicht gefunden. Ein unabhängiger Gerichtsmediziner will zudem auf den Fotos des Toten Folterspuren erkannt haben. Das Fazit der Familie und der Demonstranten in Banja Luka: Die Polizei, die Behörden, die Politik – sie alle lügen.
Wut und Lethargie
In dieser Grundstimmung gehen die Bosnier nächstes Wochenende wählen. „Eine Farce“, sagen die meisten. Durch das komplizierte Verfassungskonstrukt, das aus dem Daytoner Friedensvertrag von 1995 entstanden ist – Bosnien hat drei Präsidenten und eine aufgeblähte Verwaltung – ist das Land seit Jahren gelähmt. Gleichzeitig öffnet das politische System Tür und Tor für Korruption.
Das wurde sichtbar am Fall David Dragičević, dessen Name längst zum Symbol einer wachsenden Gruppe von Bosniern wurde, die seine politische Elite, die Willkür von Polizei und Justiz satt hat. Die täglichen Proteste des wütenden trauernden Vaters sind längst zu politischen Versammlungen geworden, bei denen manchmal Dutzende, manchmal Tausende ihrem Ärger über die Institutionen Luft machen.