Lotte Tobisch: „Wo samma bitte?“
Die 92-Jährige spricht über ihre Rolle als „Grande Dame“und die Zukunft des Landes
Lotte Tobisch hätte eigentlich eine Talkshow in Deutschland besuchen sollen, entschied sich aber stattdessen für ein Gespräch mit Innenpolitikchef Josef Votzi im Zuge des KURIER-Tags. Und es lohnte sich für die Besucher – denn die 92-Jährige hatte einen großen Auftritt und rechnete u. a. mit der Bezeichnung „Grande Dame“ab. „Ich habe viel Theater gemacht, und dann ist dieser komische Opernball auf mich eingebrochen, und seither bin ich die Grande Dame. Da bekomme ich Schreikrämpfe. Ich bin alles – aber eine Dame der Gesellschaft bin ich nicht. Ich habe zwei Handvoll Freunde, die kriegen bei mir Schinkenfleckerl zu essen. Die sogenannte ,Gesellschaft’ interessiert mich nicht die Bohne.“
Hochpolitisch
Und Tobisch nützte die große Bühne, um Sorge und Unmut bezüglich des aktuellen politischen Geschehens auszudrücken – und zwar energisch. Enttäuscht zeigt sie sich von Ex-Grünen-Frontfrau Eva Glawischnig. Auch von Matthias Strolz (ExNEOS-Chef) habe sie sich mehr erhofft. Seinen Abgang aus der politischen Welt kommentiert sie mit: „Er teilt uns mit, er gehe nach Tirol Schwammerl suchen, er braucht das. Wo samma bitte?“
Christian Kerns Rücktritt als SPÖ-Chef sei für Tobisch der Gipfelpunkt des „EgoTrips“der Politiker: „Gerade sagt er, sein Abgang ist totaler Mumpitz, selbstverständlich bleibe er, und zwei Wochen später steht er da, slimfit und elegant wie er ist, und teilt seinen Parteileuten nonverbal ein berühmtes Zitat von Goethe mit und geht. Wo samma?“
Lotte Tobisch zeigt sich auch empört über Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), „der den Medien nur das Nötigste gibt und sie hinhält“. Sie brachte dieses Vor- gehen in Verbindung mit Ungarn unter Victor Orbán.
Tobisch mahnt ebenso vor einem zunehmenden Rechtsruck: „Die Zeichen sind an der Wand. Wehret den Anfängen.“
Der Schutz vor dem Verfall der Demokratie sei laut Tobisch Verantwortung der Zeitungen. „Die Aufgabe der Medien ist, den Leuten zu vermitteln, ein bisschen weiter zu denken, als ihre Nase lang ist. Ich werfe uns allen einen Egotrip vor. Wir denken nicht weiter als ,Was bringt’s, was kostet es?’ – Die Demokratie ist unser aller Verantwortung. Es kann alles wiederkommen“, schloss sie.