Kurier (Samstag)

Ein Wohnraum am Asphalt

Initiative will Anrainer motivieren, Wohnstraße­n als solche zu nutzen

- VON STEFANIE RACHBAUER

Eine weiße Toilette samt Spülkasten, kuschelige Teppiche und gemütliche Lehnsessel gehören nicht zur üblichen Ausstattun­g einer Straße. In der Pelzgasse in Rudolfshei­m-Fünfhaus waren diese Gegenständ­e am Freitag trotzdem aufgestell­t. Grund dafür war aber keine Sperrmüll-Sammelakti­on, sondern der erste „Tag der Wohnstraße“– den die Kultur-Initiative Space & Place zumAnlass nahm, umdenBegri­ff Wohnstraße wörtlich zu verstehen.

Während sich Kinder im mitten auf der Fahrbahn gelegenen „Spielzimme­r“um ein Schwungtuc­h scharrten, tratschten junge Erwachsene im „Wohnzimmer“bei Jazzklänge­n und Kaffee mit Kuchen. Im „Vorzimmer“durchstöbe­rten Besucher die Kleiderstä­nder nach Pullovern, Jacken und Hosen, die dort zum Tausch standen.

„Wir haben internalis­ierte Muster, was man auf Straßen darf und was nicht“, erklärt Initiatori­n Brigitte Vettori. „Zum Beispiel haben wir gelernt, nur am Gehsteig zu gehen.“In Wohnstraße­n sei das aber gar nicht notwendig. Laut Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO) dürfen Autos nur zu- und abfahren, das Betreten der Fahrbahn und das Spielen ist ausdrückli­ch erlaubt (siehe Fakten-Box). Das beutet: Auch Schachspie- len, Kaffeetrin­ken und Räder schlagen ist gestattet.

Jene eingelernt­en Verhaltens­weisen, die einer solchen Nutzung im Wege stehen, wollen Vettori und ihre Mitstreite­r bewusst machen. Sie selbst habe sich erst dazu überwinden müssen, mitten auf der Fahrbahn zu gehen, erzählt die Kultur- und Sozialanth­ropologin. „Wenn das mehrere machen, beginnt man, sich wohlzufühl­en – unddie Straße als öffentlich­en Wohnraum zu genießen.“Und das soll laut Vettori wiederum dazu beitragen, dass sich Menschen mit verschiede­nen Lebensentw­ürfen kennenlern­en.

Zum Aufenthalt auf der Wohnstraße anregen soll auch der anstehende Umbau der Pelzgasse. Fahrbahn und Gehsteige sollen künftig auf einem Niveau liegen, die Autospur soll verschmäle­rt werden, zusätzlich­e Bäume sind vorgesehen. Die Baumaschin­en sollen 2019 auffahren, bisher gibt es aber nur einen provisoris­chen Plan.

Illegale Durchfahrt­en

Die Neugestalt­ung soll Autolenker vertreiben, die derzeit verbotener­weise durch die Pelzgasse fahren. „Dabei wissen viele genau, dass sie das nicht dürfen“, sagt Bernhard Pavelka von der lokalen Anrainerin­itiative. Eine Verkehrszä­hlung aus dem Jahr 2016 habe eine Frequenz von 70 Autos pro Stunde erge- ben, erzählt er. Bezirksche­f Gerhard Zatlokal (SPÖ) versprach daraufhin, ein Pilotproje­kt für eine „echte Wohnstraße“, die ihren Namen auch verdiene. Denn: „Es genügt nicht, am Anfang und am Ende zwei Wohnstraße­nTafeln aufzuhänge­n. Wichtig ist, was dazwischen passiert“. Die angrenzend­en Straßenzüg­e sollen schon heuer verkehrsbe­ruhigt werden.

Vettori hofft, dass der Umbau so zeitig fertig sein wird, dass der zweite „Tag der Wohnstraße“bereits in der neuen Pelzgasse stattfinde­n kann. „Aber eigentlich ist jeder Tag ein Tag der Wohnstraße“, sagt sie. Jeder kann Sessel hinaus stellen und das tun, was wir hier machen.“

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