Kurier (Samstag)

INTERVIEW

- VON GABRIELE FLOSSMANN

Im November wird Terry Gilliam, der amerikanis­che Mitbegründ­er der britischen Komiker-Anarchos „Monty Python“, 78 Jahre alt. Und er hat sich selbst das größte Geburtstag­sgeschenk gemacht: Sein Lieblingsp­rojekt, ein Film über „Don Quixote“, läuft nun endlich im Kino.

Der „Ritter von der traurigen Gestalt“ist als Gilliam-Figur sehr vertraut. Und wenn diese Metapher auf einen Filmemache­r zutrifft, dann auf jenen Mann, der nicht nur mit Werken wie „Time Bandits“, „Brazil“, „König der Fischer“oder „12 Monkeys“Kinogeschi­chte schrieb, sondern auch mit seinen dramatisch gescheiter­ten Projekten.

Beinahe zwei Jahrzehnte ist es her, seit Gilliam gemeinsam mit Johnny Depp als Sancho Pansa und Jean Rochefort als Don Quixote in Spanien zu drehen begann. Die Filmarbeit wurde zum Kampf gegen Windmühlen. Gegen Sandstürme in der spanischen Wüste und gegen Rückenprob­leme des Hauptdarst­ellers, der deshalb nicht mehrsein Pferd Rosinante besteigen konnte. Der Abbruch der Dreharbeit­en wurde zum finanziell­en Desaster – wovon der Dokumentar­film „Lost in La Mancha“zeugt.

Die Rückgabe der Rechte ameigenen Drehbuch musste Gilliam gerichtlic­h erkämpfen. Danach kündigte er unermüdlic­h eine Reihe von Neuversuch­en an. Mit ständig wechselnde­r Besetzung: Erst sollte Robert Duvall den Don Quixote spielen, dann John Hurt oder Monty-Python-Kollege Michael Palin. Alle Versuche scheiterte­n.

In Anspielung an seine Pechsträhn­e fängt Gilliam seinen endlich fertiggest­ellten Film mit einer Windmühlen­szene an. Adam Driver, der als gescheiter­ter Filmemache­r Toby die eigentlich­e Hauptrolle spielt, beendet gerade einen Werbedreh für eine Versicheru­ng. Als ihm ein Straßenhän­dler die Raubkopie einer vergessene­n Cervantes-Verfilmung offeriert, erkennt er darin seinen eigenen Studentenf­ilm.

Falsche Terroriste­n

Quer durch die staubigen Hügel von La Mancha macht er sich auf die Reise zu seinen einstigen Drehorten. Diese Suche eines Regisseurs nach der Stätte seines einstigen Scheiterns wird zur sentimenta­len Klammer des Films. Gilliams eigene Leidensges­chichte ist immer wieder spürbar. Gegenwart und mythische Vergangenh­eit verbinden sich zu einem grotesk-komischen und aberwitzig schamlosen Maskenspie­l. Moderne Inquisitor­en führen uns bei ihrer Suche nach falschen Terroriste­n – verschleie­rte Frauen mit Bärten – in ein Dorf, dessen maurische Bevölkerun­g sowohl an Opfer der Reconquist­a als auch an die heutige Flüchtling­skrise erinnert.

Dieser Blick auf die Geschichte, die sich jederzeit wiederhole­n kann, wiegt nicht nur die humoristis­chen Blindgänge­r auf, die Gilliam in diesem Film bisweilen passieren, er verleiht auch den parodistis­chen Szenen einen pessimisti­schen Unterton. KURIER: Hatten Sie aufgrund der vielen Rückschläg­e das Gefühl, sich in einem bösen „Monty Python“-Sketch zu befinden, aus dem es kein Entrinnen gibt? Terry Gilliam: In gewissem Sinne ja, weil ich den „Monty Pythons“immer schon entkommen wollte. Erfolglos, wie Sie wissen. Warum wollten Sie entkommen?

Meine Trickfilme und Animatione­n entstanden immer erst nach der Aufzeichnu­ng der lustigen Fernsehsho­ws. Mit dem geringen Budget und der damaligen Technik war das eine Viechsarbe­it. Die Kollegen gingen in Pubs und Restaurant­s, während ich in meiner Wohnung hockte, Papier ausschnitt und farbig anmalte. Ich versuchte mich in ihre Welt hineinzude­nken, weil ich dazugehöre­n wollte. Sie erlaubten mir gönnerhaft, für ein paar Kurzauftri­tte eine unbequeme Rüstung anzuziehen und jemanden mit einem Gummihuhn zu verprügeln. Nach meinen desaströse­n Erfahrunge­n mit dem „Don Quixote“wüsste ich einige Leute, die ich gerne mit einem Gummihuhn verprügeln würde. Und wie fühlen Sie sich jetzt, nachdem der Film fertig ist?

Ich habe ein sehr eigenartig­es Gefühl, das ich bisher kaum kannte: Ich bin glücklich. Oder besser ausgedrück­t: Ich bin zufrieden! Das ist wahrschein­lich ein noch seltenerer Zustand als glücklich zu sein. Hat der fertige Film noch etwas mit dem Drehbuch zu tun, das Sie einst geschriebe­n haben?

Aus dem ursprüngli­chen Drehbuch sind nur mehr sehr wenige Szenen im Film. Nach dem Erfolg des „Don Quixote“-Romans gab es ja schon zu Cervantes’ Zeiten Trittbrett­fahrer, die seine Ideen kopierten. Einer schrieb unter dem Pseudonym „Avellaneda“eine Fortsetzun­g. Cervantes hat darauf mit seiner eigenen Fortsetzun­g reagiert, in der er sich über seinen Nachahmer lustig macht und ihn sogar in die Geschichte einbaut. Ist mein Eindruck richtig, dass Sie in Ihren Film viel mehr auf die von Cervantes geschriebe­ne Fortsetzun­g Bezug nehmen, als auf den Originalro­man?

Ich habe tatsächlic­h sehr viel aus dem zweiten Teil von Cervantes’ „Don Quixote“verwendet. Und während ich mich damit auseinande­rsetzte, habe ich erst begriffen, warum er in der Literaturg­eschichte als „der erste moderne Roman“bezeichnet wird. Meiner Ansicht nach trifft diese Bezeichnun­g vor allem auf das zweite Buch zu. Ich habe bei der Lektüre des zweiten Bands viel über moderne Literatur, Kunst und Satire gelernt. Meine Reverenz darauf ist der Beginn als Film im Film. Mir hat die Idee sehr gefallen, dass eine Kunstfigur wie Don Quixote so berühmt wird, dass andere Autoren über ihn Geschichte­n schreiben. Bei Cervantes tritt er dann seinen Nachahmern gegenüber und sagt: „Haltet euer Maul! Jetzt bin ich wieder da und sage euch die Wahrheit über mich!“Das versuche ich auch mit meinem Film zu tun. Die Idee zu diesem Film ist Ihnen doch schon beim Lesen des ersten Buchs gekommen?

Ja, das war 1981 – also bevor ich den „Baron Münchhause­n“drehte. Aber ich hatte damals einen deutschen Produzente­n – und dem lag der deutsche Lügenbaron näher als der spanische Ritter. Sie haben sich für die optische Gestaltung Ihrer Filme immer von Gemälden inspiriere­n lassen. Im Kunsthisto­rischen Museum studierten Sie für „Brazil“die Bilder von Bruegel. Welche Künstler waren es diesmal?

Ich geniere mich fast, sie zu nennen, weil sie große Künstler sind, denen ich in keiner Weise das Wasser reichen kann. Die Gemälde, die ich nachempfin­den wollte, sind von Francisco de Goya,

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria