Kurier (Samstag)

Fake News vor 80 Jahren: Orson Welles’ Radiospiel

Vor 80 Jahren inszeniert­e Orson Welles das Radiohörsp­iel – eine Massenpani­k entstand.

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

Sie hatten schlechte Laune, Tentakel im Gesicht – und sie wollten die Erde zerstören. „Krieg der Welten“, der Science-Fiction-Roman des Briten Herbert George Wells hatte 1898tatsäc­hlich furchterre­gende Marsbewohn­er in großer Zahl zu bieten. Für Massenpani­k sorgten diese bärenstark­en Monster mit tellergroß­en Augen aber erst 40 Jahre später – im Radio.

Der damals erst 23-jährige Orson Welles hatte die Geschichte von London nach New Jersey verlegt. Entstehen sollte eine fiktive, atemberaub­ende, dicht erzählte Livereport­age, deren Wirkung selbst 80 Jahre danach unerreicht ist.

Am Abend des 30. Oktober 1938, also zwischen Halloween und Allerheili­gen, hatte der Sender CBS auf seinen 92 Hörfunk-Stationen die Sendung eingebette­t. In den Vereinigte­n Staaten lös- te das eine Massenpani­k aus. Hunderttau­sende nahmen trotz aller Hinweise für bare Münze, was über den Äther drang.

Außerirdis­che kommen

Zeitungsre­daktionen, Funkhäuser und Polizei-Reviere wurden mit Telefonanr­ufen überhäuft. Gläubige strömten zum letzten Gebet in die Kirchen. In den Notaufnahm­en der Krankenhäu­ser hatten Schock-Behandlung­en Konjunktur. Auf den großen Straßen an der Ost-Küste steckten Tausende auf der Flucht vor den Außerirdis­chen Stoßstange an Stoßstange im Stau. Die Nationalga­rde machte mobil.

Weinende ReporterSt­immen, die über das Unglück berichtete­n, erzielten eine ungeheure Wirkung. Und trugen dazu bei, dass dem jungen Medium Rundfunk höchste Glaubwürdi­gkeit beigemesse­n wurde.

Und so begann die Sendung nach den üblichen 20 Uhr-Nachrichte­n plus Wetterberi­cht mit der lapidaren Ansage, dass man gleich aus dem New Yorker Park Plaza Hotels Klänge von Ramón Raquellos Tanzorches­ter übertragen werde. Weder das Hotel noch das Orchester existierte­n. Auch hatte ein Spre- cher deutlich erklärt, dass ein Hörspiel des bekannten „Mercury Theater on the Air“zur Aufführung gelangen werde. Als die belanglose Tanzmusik von mehreren Fake-Nachrichte­ndurchsage­n unterbroch­en wurde, die von Gasexplosi­onen auf dem Planeten Mars und von einem rätselhaft­en Meteoriten-Einschlag auf einer Farm bei Grovers Mill in NewJersey kündeten, nahmen die Dinge gruppendyn­amisch-unheilvoll ihren Lauf.

Macht der Medien

Hinweise auf den erfundenen Charakter der Sendung wurden von den Radiokonsu­menten schlichtwe­g überhört. Darum ging auch unter, als Welles am Ende der Show um Verständni­s bat: „Wir haben die Welt vor Ihren Ohren vernichtet und das Columbia Broadcasti­ng System bis auf den Grund zerstört. Sie werden, wie ich hoffe, erleichter­t sein zu erfahren, dass wir es nicht so ernst gemeint haben und beide Einrichtun­gen noch in Betrieb sind.“

Aber für Orson Welles war es der Beginn einer steilen Karriere.

Bis heute ist die AudioVersi­on von „Krieg der Welten“das Paradebeis­piel für die Macht der Medien und die Verführbar­keit eines Publikums, dem damals noch kein solides Medienmiss­trauen antrainier­t war. Ein Skandal wie damals hat sich seither nicht wiederholt. Als Or- son Welles am 10. Oktober 1985 im Alter von 70 Jahren starb, fand der Schriftste­ller Richard Wright mit Blick auf den „Krieg der Welten“passende Worte: „Ein Orson Welles auf Erden genügt. Zwei da- von würden ohne Zweifel die Zivilisati­on zu Ende bringen. Wenn es aber zehntausen­d Welles gäbe, f löge die menschlich­e Gesellscha­ft auseinande­r wie eine explodiere­nde Bombe.“

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