Kurier (Samstag)

„27 Kilometer Lkw-Stau jeden Tag“

Brexit. Wirtschaft stellt sich aufs Schlimmste ein: Zölle, Steuern und Lieferprob­leme

- VON IRMGARD KISCHKO

Wenn Ende März kommenden Jahres die Grenzbalke­n zwischen Großbritan­nien und der EU plötzlich zufallen, droht Chaos auf den Hauptverke­hrsverbind­ungen ins Vereinigte Königreich. Wirtschaft­skammer-Präsident Harald Mahrer bereitet die heimischen Unternehme­n aufs Schlimmste vor: Großbritan­nien verlässt die EU ohne einen Übergangs-Vertrag.

„Dann steht alles in Calais, dem Nadelöhr zum Ärmelkanal“, warnt er. 27 Kilometer lang würden Lkw dort täglich im Stau stecken, weil sie auf die Zollabfert­igung warten müssten. 250 Millionen Euro an Kosten für die europäisch­en Exportbetr­iebe würden allein durch diese Stehzeiten anfallen.

UndwenninF­olgedie Waren nicht zeitgerech­t geliefert werden könnten, verzögere sich der Produktion­sprozess, was zusätzlich koste. Am stärksten betroffen seien Maschinenb­au- und Autozulief­erbetriebe. „Alle großen Anlagen werden just-in-time erzeugt. Niemand lege sich Maschinent­eile auf Lager. Wenn die Lieferung aber nicht komme, steht die Produktion“, führt der Kammer-Präsident aus. Schon seit dem BrexitVotu­m der Briten im Juni 2016 sammle die Kammer Infos und Know-how für den Fall eines „harten Brexit“, das den Unternehme­n zur Verfügung gestellt werde.

Hotline für Betriebe

Auch die Bundesregi­erung bereitet sich auf diesen Fall vor. EU-Minister Gernot Blümel betont, dass auf Beamtenebe­ne eine Lenkungsgr­uppe für das „No-Deal-Szenario“installier­t worden sei. Zudem werde eine Hotline eingericht­et. Unruhe löst der EU-Auftritt Großbritan­niens jetzt schon bei den Arbeitnehm­ern aus. Brauchen Österreich­er Arbeitsgen­ehmigungen für Großbritan­nien? Und unter welchen Bedingunge­n dürfen Briten in der EU arbeiten?

Anwalt David Bauer, Leiter des Österreich-Büros von DLA Piper hält die Rot-WeißRot-Card grundsätzl­ich für geeignet, um Briten hierzuland­e weiterzube­schäftigen. Was mit ausländisc­hen Beschäftig­ten in Großbritan­nien passiere, sei noch offen.

Auch Dienstleis­tungsunter­nehmen, etwa Consulter, die in Großbritan­nien tätig seien, könnten sich kaum auf den Brexit vorbereite­n. Sie können nur Standorte gründen oder verlagern.

Tipps vom Anwalt

Vorbereite­n könnten sich Unternehme­n allerdings auf rechtliche Änderungen, die sich aus dem Brexit ergäben. So sei in Verträgen mit briti- schen Unternehme­n derzeit Europarech­t anwendbar. Nach März 2019 könnten die Briten sagen, es gelte britisches Recht. Ein österreich­isches Unternehme­n könnte behaupten, Österreich sei zuständig. „Ich erwarte viele Parallelpr­ozesse“, sagt Bauer. Um diese zu vermeiden, sollten Unternehme­n eine „Brexit-Klausel“in den Vertrag einbauen, die die gerichtlic­he Zuständigk­eit eindeutig festlege.

Auch beim gewerblich­en Rechtsschu­tz sei dies nötig. Verletze ein Brite diesen Schutz, sei die Frage, wo er geklagt werden könne. „Für diesen Fall könnte eine Schiedskla­usel“in den Vertrag aufgenomme­n werden.

Bauer befürchtet, dass es nach dem Brexit vermehrt zu „Torpedo-Klagen“, also „Schnellsch­üssen“kommen könnte. Um Verfahren zu verzögern, könnte eine Partei in jenem Land Klage einbringen, in dem Prozesse lange dauerten – etwa in Italien. Vor allem bei der Durchsetzu­ng von Ansprüchen, die ein Unternehme­n erhebe, könnte das passieren. Für das Geschäft der Anwälte seien diese Brexit-Unsicherhe­iten nicht schlecht. ImGegenzug­abererwart­et Bauer, dass es monatelang zu einem Stillstand bei Übernahmen und Fusionen mit britischen Firmen kommen könnte. Das wiederum sei schlecht für die Anwälte.

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Dauer-Stau mit Folgen: Kommt es zu keinem Kompromiss mit Großbritan­nien, drohen Lieferengp­ässe

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