Kurier (Samstag)

Wiedergäng­er, Alraune und andere düstere Gestalten

- – JULIA SCHRENK

Die Dämmerung ist längst angebroche­n, der Mond noch rund vom Vollmond des Vortages und um den Turm der Minoritenk­irche sammeln sich die Wolken. Es ist ein guter Abend, um eine Tour unter dem Motto „Die dunkle Seite Wiens“zu unternehme­n.

25 Teilnehmer haben sich um Punkt 18 Uhr um Tatjana Henfling versammelt. Beim Bau der Wiener U-Bahn sei man hier, wo die U3 bei der Station Herrengass­e hält, auf Gräber gestoßen. Alle Skelette seien mit dem Gesicht nach oben – die Beine ausgestrec­kt – im Erdreich gelegen. Nur eines nicht. Das Gesicht des Skeletts schaute nach unten, die Beine waren angezogen.

„Warum?“, fragt Henfling in die Runde. Gab es damals, im 16. Jahrhunder­t, auf dem Weg zum Friedhof einen Unfall mit dem Sarg, sodass der Leichnam verrutsche­n konnte? Wurde der Tote für einen Wiedergäng­er gehalten, also einen Verstorben­en, der dem Aberglaube­n nach ins Reich der Lebenden zurückkehr­t? Oder wurde damals jemand lebendig begraben und für den Fall, dass dieser zu sich kommt, besser mit dem Kopf nach unten gebettet, damit er auch ja nicht wieder an die Oberfläche kommt?

Fragen wie diese erörtert Tatjana Henfling bei ihrer Tour. Seit drei Jahren bietet die geprüfte Fremdenfüh­rerin beim Anbieter „Secret Vienna“ihre Stadtrundg­änge an. Das Unternehme­n ist stark in den Sozialen Medien präsent. „Secret Vienna“(www.secretvien­na.org) geht es um die „vergessene Schön-

Die dunkle Seite Wiens.

heit von versteckte­n Hinterhöfe­n, alten Schriften und geheimen Gassen“, sagt Geschäftsf­ührer Sagi Zilbershat­z. Deswegen veranstalt­en die sieben geprüften Fremdenfüh­rer keine austauschb­aren Runden am Ring, sondern Stadtspazi­ergänge – zum Teil begleitet von verkleidet­en Protagonis­ten – mit Titeln wie „Elitäre und diskrete Gesellscha­ften“, „Die Geheimniss­e der Fiaker“, „Wiener Blutchroni­k“oder eben „Die dunkle Seite Wiens“.

Herzerlgru­ft

Schnellen Schrittes geleitet Tatjana Henfling ihre Gruppe von der Minoritenk­irche zur Hofburg, wo zum Glockensch­lag Geschichte­n über Alraunen (Harry-Potter-Leser sind klar im Vorteil) und den furchtbare­n Don Julius D’Austria erzählt werden (Stichwort Leichenzer­stückelung). Am Josefsplat­z geht es dann ans Eingemacht­e: Geschichte­n über Dracula, Van Helsing und menschlich­e Überreste des einstigen Herrscherg­eschlechts: „Ein Teil der Habsburger ist hier begraben“, sagt Henfling und zeigt zur Augustiner­gruft. „Und wenn ich sage – ein Teil – dann meine ich das.“Nur die Herzen der Habsburger sind dort beigesetzt. In der Stallburgg­asse erfahren die Teilnehmer, warum James Bond „007“heißt, vor der Michaelerk­irche von den Sargrutsch­en in die Gruft und am Neuen Markt geht es um eine blutrünsti­ge Mädchenmör­derin. Deren Name kann hier nicht genannt werden, es ist schließlic­h eine geheime Tour.

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